Gedanken wie Waldbrände - alles verzehrend, sich fort fressend, rauchende Trümmer lassend, dominant und unflexibel. Denken von heute, gestern, morgen. Über die Fehler, das Unausgesprochene, die Gräben, die entstanden, die Menschen, die einem wie Bäume niedergebrannt sind. Inmitten der inneren Immigration spielt das Außen, das Andere, doch eine Rolle. Man sucht den Fehler im Uhrwerk, den Moment, ab dem es aufhörte zu funktionieren, ab dem die Dinge schief liefen, schlimm wurden oder einfach nur langsam schwindend weniger und Schatten, Erinnerung. Und findet doch keine Antwort, die Befriedigung verspricht.
Gedanken über ein so genanntes "Zuhause" - da, wo das Herz ist. Wo man eine Sprache hat, die einem Lebendigkeit verspricht, inmitten einer toten Welt mit ihren Hüllen und Kulissen. Nicht zugehörig, ohne Gruppe, ohne Label. Frag die Musik und sie wird dir nicht antworten:
I cannot grow
I have no shadow to run away from
I only play
I only play
Weil das hier dein Leben ist, und die entscheiden musst, was du mit der Zeit tun willst, die man dir gegeben hat, wie mit den Menschen, denen du gegenüber und mit denen du Seite an Seite stehst.
Abgerechnet wird am Ende, ein fernes Ende - und dann doch der Gedanke, dass man eine Episode abschließen könnte, vielleicht nicht zurückkehrt. Dass einem Orte und Menschen verdorben sind, dass Schlechteste in einem hervorgebracht haben, weil man es zugelassen hat, sich nicht gewehrt hat, nur Teil, nur dabei war.
Mahgreb-Spanier (MS): "Habt ihr Feuer?"
V.: "Nee."
Dude: "No fumo."
MS: "Wo kommst du her, Kumpel?"
Dude: "Deutschland."
Und schon habe ich seinen Arm um meine Schulter und einen neuen Begleiter. Während V. und ich uns schon drei Meter weiter für eine andere Bar und zum umdrehen entscheiden, will er sich dann auch schon wieder von mir verabschieden. Mit verdächtig viel Körperkontakt unter Männern und einer umständlichen Geste, bei der ich ihm beinahe den Rücken zudrehen müsste.
Fast schon clever. Beim nächsten Mal nur die Stadien der Freundschaft etwas langsamer durchspielen, dein Kumpel drei Meter weiter müsste weniger auffällig die Straße beobachten, du müsstest sypathischer und geschickter beim Ablenken werden und mich müsstet ihr an nem Koma-Tag erwischen. Dann klappts auch mit euch und meiner Geldbörse.
In Maastricht gibt es (entsprechend aller gaengigen Holland-Klischees) mehr Fahrraeder als Menschen und dementsprechend auch nur ein Fortbewegungsmittel von Relevanz. Studenten sind dabei grundsaeztlich mit Gefaehrten unterwegs, die dem Alteisen-Tod enorm nah sind.
Umso erstaunter war ich, das selbst schaebigste Drahtschesen noch mit faustdicken Stahlketten gesichert wurden, sobald man sie in der Stadt abstellte. Den Grund erfuhr ich alsbald am eigenen Leib bei einem naechtlichen Stadtbesuch: Ein simples Speichenschloss schreckt Diebe offenbar nicht wirklich ab, so dass Freundin und ich etwas komisch guckten, als mein geborgter Drahtesel nicht am angestammten Platz wiederzufinden war.
Gluecklicherweise fuehrte mich E. sogleich in die "dynamische Fahrradkultur" Maastrichts ein: Fahrraeder kauft man nicht - man nimmt sie an bestimmten studentischen Orten mit, oder klaut sie eben direkt irgendwo, wo sie nicht gesichert sind.
Um es kurz zu machen: schon zwei Strassenecken weiter gliederte ich mich perfekt ins Maastrichter Studentenleben ein. Hoffentlich musste da keine Oma allein nach Huase gehen.
Dieser Beitrag liegt mir persönlich am Herzen, weil er ein kleines bisschen mit Klischeebild und Erwartungshaltung bricht, mit denen man im Zuge von ERASMUS oft konfrontiert ist.
Es ist nicht immer lustig. Kein 24/7 Urlaubstrip mit Kaltgetränken inklusive Sonnenschein-Lächeln im Gesicht der Buddies for life. Kein All-You-Can-Fuck mit Daueranimation der Gaststadt. Zwar versuchen viele ERASMUSianer, sich genau diese und viele weitere Klischees von der "geilsten Zeit im Leben" zurecht zu leben, aber letztlich feit es sie nicht dagegen. Nicht gegen die vielen kleinen Leeren und Einsamkeiten, Verzweiflungen und Frustrationen, die Absurditäten und Enttäuschungen: Wenn man auf der ERASMUS-Party inmitten grotesk geschminkter Flittchen und 90er Eurodance-Beats bei zwei deutschen Jurastudenten steht, mit denen man Zuhause nichtmal tot gesehen werden wollen würde; wenn man auch beim vierten Mal nachfragen einfach nicht versteht, wie hoch die Kosten der Wohnung sind; wenn man trotz aller erzwungener Lockerheit im Gespräch plötzlich die Entfremdung und Sprachbarriere zum Gegenüber spürt; oder wenn man einfach mal allein ist, inmitten von all dem Trubel, weil einen hier ja doch niemand wirklich kennt.
Natürlich geht jeder anders mit solchen Momenten um, viele verwandeln sie in etwas Positives, andere sitzen sie still für sich aus, mancher verdrängt einfach, was bald sowieso nicht mehr von Bedeutung ist. Nur ist das Bild vom maximalst-weltoffenen und problemfreien Fun-ERASMUS-Studenten nicht nur albern, es erzeugt auch sozialen Druck für jeden, der einfach nur ein bisschen normal im Ausland leben möchte; nicht für jeden stellt ERASMUS die Deutschland-Flucht und Vorstufe zur Auswanderung dar. Wer sich aber der Spaß-Diktatur verschließt, hat gute Chancen, bald allein da zu stehen.
Letztlich ist Spanien ein EU-Land mit seinen Vor- und Nachteilen, die es zu entdecken und genießen gibt. Man sollte nur eingestehen, dass auch hier Depression, Ärger oder Probleme existieren und nicht durch ein Austauschprogramm einfach völlig weggewischt werden. Ich persönlich habe tatsächlich ein gewisses "Erleben müssen" gespürt, bei mir und anderen. Nur wir keine 17 mehr sind, und eigentlich bereits wissen was wir wollen. ERASMUS macht seltsame Dinge mit einem.
Ausländer sind relativ gut zu erkennen, wenn man sich einmal an Kleidungsstil der Spanier gewöhnt hat. Freaks und Punks sind Mangelware, pauschal sind Spanier auch im Freizeitdress elegant und eleganter gekleidet als Deutsche, sogar die Prolls in Ballonseide sehen besser aus als ihr deutsches Pendant. Dabei sind die Outfits grundsätzlich aufeinander abgestimmt, von Brille über Shirt/Bluse, Gürtel, Hose und Schuhen passt alles zusammen (von subjektiven Geschmacksfragen mal abgesehen).
Kleidung ist dementsprechend flächendeckend verfügbar und erschwinglich, H&M ist hier sogar etwas günstiger als in Deutschland.
Ich habe die Globalisierung überschätzt. Spanien ist was das Warenangebot angeht keineswegs mit Deutschland gleich zu setzen. Generell ist alles ein wenig teurer, vor allem Lebensmittel und Kosmetik kosten einfach mehr als in Deutschland. Parallel ist die Palette an Waren deutlich geringer. Die in Deutschland schon formvollendete Super Mall-isierung des Lebens lässt hier noch ein wenig auf sich warten. Zwar kaufe ich auch hier Lebensmittel und Alltagskram beim Discounter (ein PLUS ist direkt vor der Haustür), aber sobald es spezieller wird ist man verloren: Magnesiumtabletten, Sicherheitsnadeln, Wärmeleitpaste und PC-Teile... schnell sucht man neunstöckige Kaufhäuser rauf und runter, fragt sich durch zehn Apotheken oder PC-Superstores, um am Ende doch immer noch nichts in der Hand zu halten, oder eben ohne Auswahl das Dreifache des deutschen Preises zu bezahlen. Manchmal wundert man sich auch einfach, wenn man im großen Supermarkt nur mit Müh und Not überhaupt eine überteuerte Sorte Speisequark findet, wo in Deutschland die Fülle an Konkurenzprodukten erschlagend ist.
Obst und Gemüse gibt es auch hier beim Türken/Inder/Chino um die Ecke, letztere kontrollieren recht flächendeckend die so genannten "Alimentaciones": Ungefähr in jeder zweiten Straße findet sich einer dieser Läden, in denen auch bis 23 oder 24 Uhr noch eine Notfallration von allem haushaltsüblichen erworben werden kann; darüber hinaus verkaufen die meisten unter der Hand kaltes Bier, ein Segen für Nachtschwärmer.
Ausnahme im Angebotsdefizit ist Kleidung (mehr an anderer Stelle), die flächendeckend und preislich angemessen erhältlich ist (im Corte Ingles, dem spanischen Karstadt, sind z. B. 5 von 9 Etagen nur Kleidung). Vor allem Schuhe findet man vielfältig und zu menschlichen Preisen.
Neben der Innenstadt mit seinen Standardläden und den Malls in der Peripherie gibt es in Chueca und Malasana (eigentlich Ausgehviertel der Jugend) fantastische kleine Läden für Kleidung, Musik, Bücher und vieles mehr zu entdecken, die eine Menge Charme auf wenig Raum bereithalten.
- Siesta ist Realität. Zwischen 14 und 17 Uhr ist so ziemlich alles zu, viele Spanier haben eine Mittagspause von ca. 2 Stunden, und das Ganze Leben verschiebt sich dementsprechend nach hinten: Abendessen zwischen 21 und 23 Uhr oder in die Disko um 3 Uhr (wenn die Tapasbars etc. schließen) ist normal.
- Spaniern gehen nicht - sie schlendern. Ab und an auch gern mit ausladenden Gesten. Überhaupt hat man mehr Zeit, ist weniger hektisch, pünktlich und gestresst. Angenehm, außer man hat es eilig oder will irgendwas.
- Spanier sind sehr hilfbereit. Frag nach dem Weg und schnell hast du eine Helfertruppe von der Stärke einer Fuballmannschaft.
- Englisch ist keine Selbstverständlichkeit, auch Unistudenten sprechen nicht zwangsläufig gut. Der Nationalstolz der Spanier schlägt sich wohl in der Stellung der Sprache nieder; wer nicht Businessmensch ist, ständig mit Touristen zutun hat oder zur Bildungselite gehört, hat vermutlich keinen Grund, englisch zu reden.
- direkte Antworten liegen Spaniern nicht. Um "Ja" oder "Nein" zu sagen, werden manchmal erstaunlich viele Worte benutzt.
- Stierkämpfe sind zwar bei jungen Leuten oft verpönt, finden aber in Madrid jeden Sonntag das gnaze Jahr über statt. Sie werden im Fernsehen übertragen und sind - wenn auch nicht so populär wie Fußball - doch aktiver Teil der Kultur.
- Fahrräder existieren in Madrid nicht. Zu Fuß, Metro, Auto, Helikopter... Fahrrad. Ungefähr so die Rangfolge der Verkehrsmittel. Klar, schließlich kann man sich beim Radfahren auch schlechter mit zufällig getroffenen Freunden unterhalten.
- Besuch im eigenen Zuhause ist (auch für Einheimische) eher unüblich. Das Leben spielt sich auf der Straße, in Bars und Restaurants, Parks und Diskos ab - aber eben nicht en la casa. In vielen Wohnungen ist Besuch teilweise oder völlig verboten (manchmal sind nur Übernachtungen ein NO-Go, manchmal ist schon der Toilettengang von Unifreunden unerwünscht).
Der große Knackpunkt, nach wie vor. Ich bin ein langsamer (und zugegeben: fauler) Lerner. Ich erwarte irgendwie, dass es langsam von allein läuft, durch bloße Anwesenheit in diesem Land, aber tatsächlich muss man wollen und üben, bis einem das spanische Idiom flüssig über die Lippen kommt. Italienern und Franzosen fällt das erlernen dieser romanischen Sprache auch offenbar leichter; für mich machts das natürlich nicht besser.
Das große Problem ist, dass ich schlecht verstehe. Zwar kann ich annehmbar lesen, aussprechen und kann ein bisschen was sagen, aber oft verstehe ich die Leute einfach nicht und muss fünf Mal nachfragen, bis ich verstanden habe, dass sie eigentlich nur wissen wollten, wie mein Flug war. Auf Dauer ein Frustgarant, gegen den man aktiv arbeiten muss. Die Madrilenen sind allerdings auch Könige im Lispeln und vernuscheln von Worten ud Wortfetzen.
Trotz allem finde ich die spanische Sprache immer noch sehr schön und fühle mich annähernd heimisch in ihr, der Klang ist deutlich schöner, wenngleich die Ausdrucksmöglichkeiten weniger genau als im Deutschen sind. Ohnehin eine der Haupterkenntnisse: Deutsch ist eine sehr reiche, mächtige, und vor allem: präzise Sprache. Was mir vorher in der Form nicht bewusst war.
Die "Universidad Carlos III de Madrid" liegt etwa 10Km außerhalb von Madrid in der Vorstadt Getafe. Ein Umstand, der die 50-minütige Anfahrt von meiner Haustür bis in den Unterrichtsraum erklärt. Die Verbindung ist aber gut und zuverlässig, so dass einem alles viel schneller vorkommt.
Die Uni selbst ist gerademal zehn Jahre alt, dementsprechend blitz und blinkt alles, Neubauten oder rundum sanierte Gebäude zieren den Campus in Getafe (es gibt noch zwei kleinere Unterrichtsorte, die ich aber nicht besuche). Die Ausstattung der Unterrichtsräume ist modern, in meinem Gebäude 17 (dort wird der Großteil des Medienangebots unterrichtet) haben die meisten "Aulas" Beamer und/oder Lautsprecher; zusätzlich gibt es zahlreiche PC-Räume und Räume für Pre- und Postproduction. Dieser Luxus dürfte nicht unwesentlich durch die Gebühren finanziert sein, die die Studierenden pro Kurs im dreistelligen Eurobereich entrichten (bei geschätzten 6 Pflichtkursen pro Semester kommt da einiges zusammen).
Die Studenten sind unterschiedlich: In Getafe ist ein Schwerpunkt Jura, ein anderer BWL, dementsprechend kann man hier und da auf ein wenig Schickeria-Studis treffen; da sich Spanier jedoch durchweg eleganter und stilsicherer als Deutsche kleiden, fällt es weniger auf, als in unserer Heimat. In den medienwissenschaftlichen Studiengängen findet man dann aber auch die wenigen wirklich Extravaganten, die der Campus hergibt. Von meiner Uni aus muss ich den Schluss ziehen, dass Studieren in Spanien weniger mit Rebellion und Selbstverwirklichung zutun hat, dafür mehr mit Geld.
Die beiden (!) Cafeterias bieten von günstigen Bocadillos bis hin zu teurem, aber äußerst reichhaltigem Essen und Fast Food alles, wer will, kann sogar dort Wodka bestellen. Die größere Cafeteria beinhaltet die Mensa und bildet mit der Bibliothek, der Aula Magna + Rektorat. einem großen Platz und den einrahmenden Gebäuden den Kern bzw. Mittelpunkt der Uni.
Kurse sind bei mir grundsätzlich vierstündig - ein Umstand, den man gut erträgt, wenn man weiß, dass meist eine halbe Stunde früher Schluss ist, manchmal mehr. Die Dozenten sind (wie die Studierenden) auf Nachfrage sehr zuvorkommend und freundlich gegenüber ERASMUS-Menschen, auch wenn sonst der Kontakt dünn ist.
Das Sportangebot ist übersichtlich und grundsätzlich kostenpflichtig (und teuer), dafür sind aber auch das Unieigene Fitnessstudio oder die Sportanlagen in gutem Zustand.
Und als angemessenen Ausklang: Die Bürokratie ist hier zwar tendenziell noch langsamer als in Deutschland, dafür aber deutlich freundlicher. Das ORI, in etwa vergleichbar dem Auslandsamt, ist ein Hort der Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit. fast bedauere ich es, dort schon nichts mehr klären zu müssen.
Auf Anraten einiger ERASMUS-Veteranen hab ich meine Wohnung im Stadtkern gesucht, ungefähr am Nordende des direkten Stadtzentrums (wer aus Trier-Kürenz kommt, muss halt sofort wieder in den Norden) im Stadtviertel Argüelles liegt sie nun.
Ich habe ein Zimmer im "interior", also im inneren Teil des Hauses, ohne Fenster in einer der Außenwände (in Madrid ist das sehr üblich; hier und da werden sogar Interior-Zimmer ganz ohne Fenster vermietet!). Da ich im Erdgeschoss wohne und das Haus sechs Stockwerke hat, ist direktes Sonnenlicht eher Mangelware. So kann es im Zimmer schon Mal nach Halbdunkel aussehen, während vor der Haustür die Sonne brennt. Fertig eingerichtet bin ich nun, Ikea sei Dank.
Die Wohnung ist insgesamt nicht gerade groß, liegt aber wegen jüngster Renovierung deutlich über dem, was ich in Madrid als Standard ansehen würde. Neues Laminat, frisch gestrichen, WLAN, Cerran-Kochfeld, Luxusdusche... und das Ganze für einen nicht völlig ruinösen Preis; zummal die Kaution nichtmal ein Viertel einer Monatsmiete beträgt! Eigentlich habe ich zwei spanische Mitbewohner, in der Praxis ist es aber nur ein halber: Ángel, der spanische Geschichtsstudent, ist am Wochenende schließlich meist Zuhause im 60Km entfernten Toledo; der andere Mitbewohner ist der Sohn der Vermieterin, der ununterbrochen auf Reisen ist und nur eine Nacht die Woche mal kurz reinschaut. Auf Dauer werde ich wohl wegen Sonnenlicht und mehr Action in die Erasmus-WG einer Freundin umziehen, aber für das erste halbe Jahr ist das hier als Bleibe nicht die schlechteste Adresse.
6 Wochen da, alles mögliche gemacht - Zeit, ein wenig Bilanz zu ziehen. Da eh noch einiges an Info aussteht, zerlege ich die Beobachtungen und Gedanken in kleine Brocken. Viel Spaß! Mehr Fotos gibts im Studiverzeichnis.
Die neue Single von Bruce "The Boss" Springsteen, "Radio Nowhere". Ich fand den Boss immer gut. Aber das hier ist nach längerer Zeit mal wieder ein guter Grund für diese Liebe. Trotz 80er Saxophonsolo. Enjoy!
Wer immer noch nicht weiß, womit sich Nena bei mir die doofe Kuh in Gold verdient hat und warum ich so einen Hals auf diese Möchtegern-Nina Hagen-Esoteriknudel habe, die da ständig Plattitüden und Popkitsch ins Weltall absondert und mich mit ihrer Daueranwesenheit auf Fernseh-Promicouches belästigt, dem sei dieser Interview-Versuch der taz nahegelegt.
Thees Uhlmann (Tomte) singt die Toten Hosen. Nagel (Muff Potter) singt die Toten Hosen. Mille (Kreator) singt die Toten Hosen. Nichts mehr hinzuzufügen. Hinsehen. Mitfeiern.
Im Grunde sieht er aus wie die gleiche Sorte Hipster/Szenegänger/Pseudo-Model-Verschnitt, die man auch in jeder beliebigen Großstadtfußgängerzone anspucken kann: weißes Oberhemd (nicht von Mutti! Mit Goldschriftzug) auf brauner und haarloser Brust, etwas weitere Jeans mit allerlei unnötigen Aplikationen wie Nähten, aufgesetzen Taschen und ähnlichem Firlefanz, Goldkettchen und die Art riesige Sonnenbrille, die neben ihm aktuell Millionen weitere Menschen als Kleingeister outet. Ein End-Teenie oder Anfangzwanziger mit Hauptstadtallüren und Profilneurosen, gestriegelt wie ein Pudel und dabei genau so albern in seiner lächerlichen H&M-Mondänität, die immer ein wenig zu weiblich daherkommt. Es stimmt also jedes Detail an diesem Exemplar urbaner Degeneration, nur eines ist, wenn doch vielleicht nicht rein spanisch, sondern Haupt- oder Großstädisch und damit Madrid-speziell, anders: Er krönt sein "Out-fit" mit einem prachtvollen Vokuhila. Nicht den 80er Jahre Deutschland Altherren-Vokuhila mit Schnauzbart, nein, den 200Xer David Beckham-Metrosex-Vokuhila, frisiert von Gerôme oder Yassin im nächstbesten In-Salon, mit angefärbten Spitzen, gern auch zum (angedeuteten) Iro gegelt. Dabei könnte nichts, gerade in Verbindung mit seinem restlichen Äußeren, idiotischer Aussehen. Er ist nicht allein.
***
Sie sitzt auf der Couch und hält die Schlüssel in einer kleinen Plastiktüte auf ihrem Schoß. Die Schlüssel die mich noch von einem neuen Zuhause trennen, nach dem ich nunmehr eine Woche lang gesucht habe. Heute etwas finden wäre perfekt, ich hätte kein Geld verschwendet, wäre trotzdem nicht ab morgen obdachlos (das Hostel ist am folgenden Samstag hoffnungslos ausgebucht). Doch sie gibt sie mir nicht. Sie redet. Sagt, ich solle mich hinsetzen, mich beruhigen. Ich werfe ihr hilflose Floskeln und Aufforderungen entgegen, die den Prozess der Wohnungsübergabe einleiten sollen. Sie reagiert, um sofort wieder abzuschweifen, zu schwadronieren, mir Belanglosigkeiten fünfmal zu wiederholen ohne dass ich sie verstehe oder verstehen müsste. So ging das schon morgens beim Besichtigungstermin.
Nach einer Stunde hilfloser Unproduktivität bin ich mürbe, rufe Marie an, Finanzielles möchte ich nicht wage klären, und manches verstehe ich einfach nicht, teils, wei les sich als ungewöhnlich und umständlich herausstellen soll, teils, weil die alte Frau, die meine Vermieterin werden soll, eine äußerst spanische Angewohnheit zur Meisterschaft gebracht hat: Auf gezielte Fragen, vor allem solche nach Ja oder Nein, wird nie direkt geantwortet. Stattdessen wird abgewogen, erklärt, ausgebreitet, schwadroniert, abgeschwiffen. Was im Smalltalk unterhaltsam sein mag, ist ohne Sprachkenntnis, mit starken Dehydrierungskopfschmerzen, müden Beinen und an der Grenze aus der Heimatlosigkeit eine Tortur. Nach gut zweieinhalb Stunden quälenden Wechsels zwischen kurzem Informationsaustausch und langen Monologen halte ich ein paar Schlüssel in der Hand und verlasse mit Marie fluchtartig die Wohnung, die nun mein Zuhause ist.
***
15 Uhr, schnell mal was kopieren. Wenige Meter hinter der Haustür stocke ich. Die heruntergelassenen Rollläden an sämtlichen Geschäften erinnern mich: In Spanien ist die Siesta mehr als nur ein altes Klischee.
Im Hostel herrscht eine unglaubliche Fluktuation, ein Kommen und Gehen, fast jeden Tag kommen neue Leute und reisen alte ab; wie in einem surrenden Bienenstock oder einem Ameisenhaufen fühlt man sich bei dem Gewirr aus Sprachen, Nationalitäten, Menschen.
In den mittlerweile 5 Tagen lernt man einige Leute immer besser kennen, Chiara, die Italienerin, Christian, den argentinischen Aufreißer mit dem weichen Kern, Sandra, die kesse Schweizerin... hier soll es jetzt aber um Rafael gehen.
Rafael ist der netteste und freundlichste Mensch der Welt. Punkt. Kommt aus Brasilien, hat gerade eineinhalb Jahre in Berlin gelebt und ist nun für seine Abschlussarbeit in Politik und Sozialwissenschaften in Madrid. Sein Deutsch ist ziemlich gut, wie er ständig unter Beweis stellt. Vor allem aber seine Art ist so entwaffnend offenherzig und mitfühlend, dass es einfach unmöglich ist, in seiner Gegenwart schlechte Laune aufrecht zu erhalten. Ein Phänomen, dieser Mann, ziemlich uneitel, warmherzig, aufgeschlossen. Und sehr interessiert an seinen Mitmenschen. Gestern nun hat er nach langer Suche (deutlich mehr als meine schlappen 5 Tage) eine Wohnung gefunden. Ich habe mich selten so für jemand anderen gefreut, wie in diesem Moment. Könnte ich mir einen Freund hier in Madrid frei wählen, es wäre zweifellos Rafael!
Sie lacht. Was sie dann auf spanisch sagt, verstehe ich Erwartungsgemäß nicht. Trotzdem scheint es etwas freundliches, wenn auch amüsiertes zu sein, was die Frau vom ERASMUS-Amt meiner Uni mir soeben entgegen wirft. Sie wiederholt auf englisch: "Malasana is like Queens in New York" sagt sie mit Blick auf die Wunschviertel auf meinem Wohnungsgesuch und grinst. Dann entdeckt sie in der Auflistung CHueca, das Schwulenviertel. Ihr Mund formt ein süffisantes Lächeln. "Baaad Boy!"
***
Wir sitzen uns gegenüber. Zwischen den Sätzen klopft sie mit ihren Fingern auf den Tisch, ihr Blick wandert dabei durchs Zimmer. 24 Jahre alt, von den Kanaren, Jura im letzten Jahr. Das weiß ich mittlerweile. Auch, welches Zimmer frei ist, ab wann und was es ungefähr kosten wird habe ich begriffen. Bis dahin war es ein weiter weg. Sie ist geduldig, wiederholt ausgiebig, zeigt auf Dinge, sagt Schlagwörter. Irgendwann begriefe ich dann, worum es geht. Jetzt ist das meiste besprochen, wir sitzen voreinander und ich rätsele erneut, was sie mir sagen will. In diesen Momenten fühlt man sich verloren, sprachlos, als wäre einem die Zunge herausgeschnitten worden und man seiner Sprache beraubt. Sie, die Jurastudentin, spricht fast kein Wort englisch. Mein spanisch holpert noch gewaltig. Ich werfe eine Verabschiedungsformel in den Raum. Wir gehen, sie folgt mir vor die Tür. Dann begreife ich: Nicht ich soll das Feuerzeug kaufen, wenn ich die Wohnung haben will; sie will eines besorgen, das alte ist kaputt. Deshalb hat sie wie wild auf den Herd gezeigt.
***
Morgens Optimismus, nachmittags Depression, abends Bier. Der Argentino aus dem Zimmer von Marie und mir macht es richtig, hat keine Wohnung aber eine gute Zeit. Marie erzählt, das Doppelbett hätte gut gewackelt, morgens um 6. Ich habe ihn und seine Eroberung nur ankommen gehört, aber Marie musste im oberen Bett schlafen. Oder es zumindest versuchen. Hostel Dorm Sex, irgendwie mutig. Viva Espana!
...kriegt hier ordentlich Futter. Die Momente zwischen "Alles hinschmeißen" und "großartige Stadt" schwanken stark und schnell, der Druck wird nicht weniger, im Hostel suchen irgendwie alle eine Wohnung. Bei Terminen in der nahen Umgebung trifft man dann auch immer alle, die man morgens beim Frühstück sieht. Und ich frage mich immer wieder, warum eigentlich jemand als Spanier aus 20 Wohnungsbewerbern diesen Deutschen mit kaum Sprachkenntnis und geringem Ordnungssinn nehmen sollte. Es geht weiter.
Da ich gestern ein wenig Zeit beim Erkunden der Stadt verbracht habe, hier ein paar kleine Impressionen:
Der Dude in seiner vorläufigen habitación.
Hinten links könnte ich morgen schon wohnen, wenn der Termin heute abend ergiebig ist. Die Lage wäre zumindest perfekt.
Ein Bild aus dem Parque de la montana, direkt 300m entfernt vom vorigen Foto. In der Siesta entspannt sich dort alles von Familien mit Kindern, Studenten, Angestellten bis hin zu Senioren.
Zwei Bilder der zentralen Gran Via. Man sieht vermutlich, warum sie so heißt.
Eindrücke aus dem prachtvollen Retiro. Ich habe bisher keinen vergleichbaren Park gesehen, ich war nur in ca. 1/5 unterwegs und war schon sehr angetan, aber die volle Größe muss noch deutlich beeindruckender sein. Das Museo del Prado, an dem ich vorbeigekommen bin, hätte ich ebenfalls gern fotografiert, aber der Zaun mit Sichtschutz lädt nur indirekt dazu ein. Werde ich aber Verbot hin oder her bald nachholen.
Der Plaza del Chueca im gleichnamigen Schwulenviertel. Ich würde unfassbar gern dort wohnen, super Stimmung, nette Bars und etliche niedliche Klamottenläden. Zum Shoppen und Ausgehen würde ich nach meinem ersten Eindruck dort so oder so immer hingehen wollen.
Schöne Szene: Zwei braungebrannte Kerle laufen Arm in Arm vor mir her. Ein Cabrio kreuzt ihren Weg, der Fahrer offensichtlich ebenfalls schwul. Plötzlich ruft einer der beiden Paartypen: "Oh, er hat ein Auto, und was für ein schönes Auto, ist er nicht niedlich mit seinem Auto!" Auf deutsch hätte das sicher tuckig und nervig geklungen, auf spanisch musste ich einfach nur grinsen.