Dienstag, 21. November 2006

"Killerspiele" und profil-neurotische Arschlöcher

Ein junger, offenbar verzweifelter junger Mann voller Hass geht in seine Schule und verletzt 37 Menschen, als er um sich schießt, bevor er sich selbst tötet. Das ist tragisch, leider ist es nicht das erste Mal und wird wohl nicht das letzte Mal sein.

Und natürlich kann die jetzt einsetzende Jagd der Politiker auf Schuldige gar nicht debil, simpel und abgedroschen genug sein. Soll der Prekariats-Wähler ja auch verstehen. Und da sind sie also wieder, die "Killerspiele". Instinktiv fragen sich denkende Menschen, was diese Killerspiele eigentlich sein sollen, spielt man doch nur in den allerwenigsten Ausnahmen einen Killer oder hat ausschließlich Töten zum Ziel. Aber diese Haarspalterei ist ja gar nicht das Thema.
Nein, in diesem Fall wird erneut wider besseres Wissen Stimmung gemacht. Ein direkter Zusammenhang zwischen Amokläufen und PC-Spielen ist bestenfalls zweifelhaft? Egal, drauf schimpfen! Weil sich so schön die Verantwortung abstreifen lässt, wenn man die Welt in wahnhaftem Ausmaß auf Ursache-Wirkungszusammenänge reduziert. Eltern, Lehrer, Nachbarn, Politiker... alle dürfen sich Dank der bösen Gewalt-Medien frei von Schuld fühlen. Dass Verbote nur zusätzlich reizen, dass die technischen Gegebenheiten im Internet Kontrolle fast unmöglich machen, dass PC-Spiele nie Aggressions-Ursache sind, dass das Wort Killerspiele ein reines, Angst-erzeugendes Buzzword ist, dass ein Individualphänomen wie ein Amoklauf keine Generalaussagen über Spieler zulässt, das Zensur niemals Ursachen bekämpft... ich weiß gar nicht, wo ich zuerst ansetzen soll.
Es widert mich an, wie profilneurotische Berufsarschlöcher wie unsere "Spitzen"politiker wie pawlow'sche Hunde herbeispringen und laut blinden Aktionismus propagieren, ohne nachzudenken, ohne die Materie zu kennen, oft sogar gegen besseres Wissen von Expertenseite, nur um der Propagandageilheit und ihrer politischen Karriere. Ihr blöden Wichser kriegt nichtmal ein Massenphänomen wie 5 Millionen Arbeitslosigkeit in den Griff und wollt nun via Gesetz eine Individualtat wie diese hier regeln, die ihr nichtmal im Ansatz begreift?!? Und bem nächsten Amoklauf stehen dann wieder alle da und schreien genauso wie eh und je... armselig, wie man gesunden Menschenverstand oder Sorgfaltspflicht ausblenden kann, nur um das politische Spiel mitzumachen.
Und eine Bemerkung noch zum Abschluss: Wieso ist es immer wieder die reaktionäre Bagage der Idioten-Union, die es einfach so gar nicht begreifen kann oder will, während sich selbst die Rückrat-freien FDPler, die sonst ihre Mütter für 3 Wählerstimmen verschachern würden, so etwas ähnliches wie überlegt äußern?

Lesenswert:
Kollege Michael äußert sich kritisch über die zu erahnende Tat von Sebastian B.

Piesty schreibt weniger zornig als ich

Spreeblick kurz und pointiert

Die Weltregierung in gewohnt-geschätzt bissigem Ton

Wirres kommentiert gekonnt mit einer passenden Frage-Linksammlung

SpOn kann endlich differenzieren

Bei Heise wird sinnvoll die "Scheindebatte" thematisiert - Und die FDP ist in ihrer "dagegen-um-dagegen-zu-sein"-Haltung dann ausnahmsweise mal auf der richtigen Seite. Sehr gute Linkliste

Carsten Lißmann reflektiert und sagt vernünftige Dinge


Der Tagesspiegel berichtet neutral und lässt diverse Politiker und Sprecher von Organisationen zu Wort kommen - Bosbach und Schönbohm blamieren sich erwartunngsgemäß, der Präsident des Lehrerverbandes ist noch hilfloser als unwissend und der GdP-Vorsitzende scheint auf dem Mond zu leben ("neue Qualität der Brutalität", "nie gegeben"? Littleton? Erfurt???)

Die SZ lässt auch lieber andere reden - und featured einen gewohnt debilen Ede Stoiber, eine ihm nacheifernde bayrische Famillienministerin, einen vernünftigen Dieter Wiefelspütz und bereits bekannte Zitate

Bullshit:
Mein Ex-Innenminister aus Niedersachsen, Uwe Schünemann" fällt durch breites Unwissen und blinden Aktionismus auf - die politische Karriere abseits von Marktschreierei durch eigene Ideen zu fördern und sich verantwortungsbewusst zu äußern bleibt ihm weiterhin fremd

In der FTD kommen sogar die Jüngsten der Union zu Wort - Dummheit durch alle Altersschichten

Gewohnt tendenziell, diese Welt

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Löwenherz - 22. Nov, 09:22

So alt, so dumm

Es ist schon erschreckend, wie sich diese Mecheanismen jedes Mal immer wiederholen. Gleich im ersten Bericht vom Brennpunkt "...der Täter hatte Counterstrike auf dem Computer installiert...". Herrgott: Millionen besitzen diesen popülären Team-Shooter. Ein paar Tausende spielen es regelmäßig in Deutschland. Und was sind das für Jungs? Leute wie wir. Wie ich früher, der DeDe und mein Kumpel Tobias. Und was wünschen sich solche Leute vom Leben: "Ein sicheren Job und eine glückliche Familie".

Wenn Emotionen beim Zocken hochkommen, dann ist das entweder Euphorie oder Wut. Aber nie auf einen anderen Spieler, sondern immer nur auf sich selbst bezogen: Weil man im sportlichen Wettkampf den anderen geschlagen hat (Euphorie), oder eben aus eigenen Unvermögen unterlegen ist (Wut auf sich selbst). So viel also zum Thema: Entwicklung von Gewaltbereitschaft.

Bei den Politikern stimme ich dem Dude völlig zu. Das sind Pappnasen, die sich der Meinung der ahnungslosen Massen anpassen, um billig Popularitätspunkte zu gewinnen. Und dabei unterschätzen sie, wie viel Geld jetzt schon mit Computerspielen in Deutschland gemacht wird, und wie wichtig dieser Sektor für die heimische High-tech Industrie ist, denn wer kauft sich schon die neuesten teuren Grafikkarten, wenn er die hardwarehungrigen Shooter nicht mehr zocken darf.

So viel Alter, so viel Unvernunft!

carrry (Gast) - 22. Nov, 10:35

bin völlig einverstanden, dass verbote von killerspielen weit entfernt von jeglichem nutzen zur prävention von gewalt sind, aber das argument der wirtschaftlichen bedeutung der hich-tech-industrie finde ich sehr bedenklich. sollte die zerschlagung eines industrie-zweigs tatsächlich gewaltmindernden nutzen bringen, der in einem entsprechenden verhältnis steht, darf das argument keines mehr sein.
waffen- und drogenhandel wären wahrscheinlich auch wirtschaftlich rentable industriezweige.
Löwenherz - 22. Nov, 10:56

Liebe Karen,

auch in Dresden, in deiner Heimat, sichern große Werke von AMD und Infineon jedes Jahr tausenden Sachsen das Einkommen. Und zahlen hohe Steuern an Elbflorenz, um die Stadt kulturell noch attraktiver zu machen. In Zeiten, in denen jedes Jahr tausende billige Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden, muss Deutschland darauf bauen, wenigstens im hochtechnologisierten Wirtschaftsbereich die Arbeitsplätze im Land halten zu können.

Du darfst auch nicht die Bedeutung junger hochbegabter Informatiker und Entwickler unterschätzen, die ihre Kreativität nutzen, um technisch anspruchsvolle und zugleich unterhaltende Software zu entwickeln. Unternehmen wie Crytec in Frankfurt sind das Aushängeschild für eine ganze Generation junger fähiger Deutscher, die auch international Erfolge feiern. Ein Verbot der Herstellung von "Killerspielen" würde viele dieser fähigen Köpfe ins Exil treiben. Aber auch jetzt schon denken, viele daran, dass Computerspiel-Entwicklungsland Deuschland zu verlassen.

Denn wusstest du, dass andere Staaten (z. B. USA und Frankreich) ambitionierte Spieleschmieden staatlich fördern?! Und der Clou: Im Gegensatz zu der in Deutschland geförderten Filmindustrie, die immer ein Minusgeschäft bleibt, kann Frankreich und die USA Geld mit ihrer Förderung an Computerspielen verdienen und dieses Geld in die anderen Kulturformen (Film und Theater) stecken. Ja, ich betrachte Computerspiele als Kulturform!

Deshalb finde ich es doch einigermaßen abwegig, die Spiele- und Computerindustrie mit Waffen- und Drogenhandel zu vergleichen, wie du es tust. Und den Zusammenhang von Computerspielen und Gewaltbereitschaft halte ich bei gesunden Menschen ohnehin für Blödsinn.
carrry (Gast) - 22. Nov, 16:13

die aussage war eine rein hypothetische. und ich bin immernoch der meinung, dass ein menschlicher, ein sozialer gesellschaftlicher nutzen, so er in einem angemessenen vehältnis steht, einem wirtschaftlichen anspruch vorgezogen werden sollte.
in diesem fall sind wir völlig einer meinung, dass ein verbot dieser computerspiele keinen entsprechenden nutzen brächte, dennoch finde ich das argument der wirtschaftskraft fehl am platze. reiner ökonomischer nutzen darf niemals oberste prämisse sein. ökonomische gründe sind es nämlich auch (nicht nur), die schulpsychologenstellen wegrationalisieren, bzw. gar nicht erst ermöglichen.
der vergleich war zweifelsfrei provokativ, sollte aber vor allem gegen die art der argumentation gehen.
den zusammenhang zwischen gewaltbereitschaft und computerspielen würde ich nicht prinzipiell ausschließen, allerdings stellt sich die frage, worin genau dieser zusammenhang besteht.
Löwenherz - 22. Nov, 18:08

Sorry, aber mir fällt es schwer, überhaupt zwischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Belangen zu unterscheiden. Letztendlich sind sie von einander abbhängig, wie ich dir am Beispiel Dresden darstellen möchte:

Der Bund verbietet so genannte "Killerspiele". Daraufhin müssen die Werke von AMD und Infineon in Dresden schließen, weil dem Betrieb die Einnahmen aus dem Computerspielgeschäft fehlen. Daraufhin fallen die Steuern der Betriebe weg - der Stadt fehlt Geld. Dann werden tausende arbeitslos - die wiederrum weniger kaufen und der Stadt weniger Gewerbesteuer einbringen. Dresden fehlt die Einnahmen aus dem Hightech-Sektor und muss in der Kultur kürzen. Das Festival am Elbufer fällt aus. Die tausenden neuen Arbeitslosen leben von der Sozialhilfe und der Staat hat wiederrum weniger Geld für Soziales und letztlich auch für Schulen, die den Schulpsychologen rauswerfen müssen. Der wiederum erkennt nicht, weil er nicht da ist, dass ein neuer Bastian/Robert von seinen Eltern vernachlässigt wird, weil der Vater nach der Entlassung von AMD an der Flasche hängt. Bastian kann sich nicht ablenken, weil das Festival am Elbufer ja aus Kostengründen abgesagt wurde und weil sein Jugendclub letzte Woche schließen musste. Daraufhin beschließt er, sich an all denen zu rächen, die seiner Meinung nach an seinem Unglück schuld sind. Und geht in die Schule...

Du siehst: All das hat so wenig mit Computerspielen zu tun, dass die reine Diskussion über erhöhte Gewaltbereitschaft durch Zocken nicht im Geringsten das Problem selbst betrifft. Ich weiß, die obige Darstellung ist brutal vereinfacht, trifft aber letztlich den Kern. Du siehst: Wirtschaft ist Staat ist Kultur ist Sozialmaßnahmen ist Wirtschaft... Ein gigantischer Kreislauf, in dem das Gewaltpotenzial von Computerspielen eine verschwindend geringe Rolle spielen.
carry (Gast) - 23. Nov, 11:06

@löwe:
die kausalen wirtschaft-sozialsystem-szenarien, die man da herkonstriuieren kann, sind mir ja völlig klar, weswegen ich mehrfach darauf hinwies, das "er [der soziale nutzen] in einem angemessenen vehältnis" stehen muss, was wiederum das wirtschaftsargument als solches anzweifeln soll.
überspitzt dargestellt: WENN sogenannte killerspiele nachweislich einst gute, friedfertige menschen in amoklaufende gefühlsstumpfe massenmörder zu verwandeln im stande WÄREN, müssten sie auf gleicher ebene wie waffen betrachtet und als wirtschaftsgrundlage illegalisiert werden. deswegen halte ich es für illegitim, mit der wirtschaft zu argumentieren
Michael (Gast) - 22. Nov, 23:16

...die wirtschaftlichen Folgen eines Verbots wären mir egal, wenn es denn helfen würde. Aber "Killerspiele" zu verbieten würde nichts, nun wirklich gar nichts - also überhaupt null, nada, niente, ne rien! - daran ändern, dass Menschen wie Sebastian B. den Zugang zu unserer Gesellschaft verlieren und darauf mit Mord und Totschlag reagieren.

Wer sich seine Aufzeichnungen ansieht (ich hab inzwischen auch das komplette Abschiedsschreiben entdeckt) durchliest würde schnell merken, dass Sebastian ganz andere Probleme hatte: Konsumterror, Gruppenzwang und Gewalt im Klassenzimmer und die immer wiederkehrende Angst vorm Versagen in Schule, Privatleben und später im Beruf. Das unpersönliche Alltagsleben kam ihm vor wie ein "Programm", in dem er ein Virus war.

So eine Neurose fällt nicht vom Himmel und wird erst recht nicht durch Computerspiele ausgelöst, die er selbst überhaupt nicht erwähnt. Und anders als zuerst gemeldet hat er auch nicht seine Schule für Counterstrike nachgebaut. All dass könnten Politiker wissen, würden sie sich nur die Arbeit machen, sich ein wenig in Sebastians Geschichte einzulesen, die im Google-Cache noch immer zugänglich ist. Und auch mit Eltern, Lehrern und Experten hat niemand gesprochen, obwohl das Urteil der großen Koalition längst fest zu stehen scheint.

Wir alle wissen, warum Politiker trotzdem eine monokausale Erklärung bevorzugen: Ein "Killerspielverbot" betrifft nur eine Randgruppe, die der Rest der Gesellschaft ohnehin für seltsam hält. Es lässt sich höchstwahrscheinlich medienwirksam durchsetzen, verursacht kaum kosten - und bringt keinen nennenswerten Effekt. Es bleibt die traurige Gewissheit, dass Sebastian sicher nicht der letzte junge Mensch sein wird, der in unserer Gesellschaft keinen Sinn mehr für sein Leben sieht und eine so einfache und doch so falsche "Moral" zieht:

"Wenn jemand stirbt, dann ist er halt tot. Und? Der Tod gehört zum Leben! Kommen die Angehörigen
mit dem Verlust nicht klar, können sie Selbstmord begehen, niemand hindert sie daran!"
- (Abschiedsbrief.


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