Freitag, 6. November 2009

"Süße heilige Zensur...

...laß uns gehen auf deiner Spur, leite uns an deiner Hand, Kindern gleich am Gängelband." Diese Zeilen stammen aus der von Ernst Keil herausgegebenen Zeitschrift "Der Leuchtturm", sie sind 1847 unter dem Eindruck der aufkommenden Deutschen Revolution und dem repressiven - und könnten kaum aktueller sein.

Die Ministerin mit zuviel Tagesfreizeit nämlich, über die ich mich schon wegen Kleinigkeiten zu genüge geäußert habe, ist zurück: Das neue Rammstein-Album ist auf Antrag des Familienministeriums indiziert. Nun halte ich das Album nachweislich nicht für große Kunst, sondern eher für prolligste Blut-und-Sperma-Erheiterung für Testosteronmomente, und kann gleichzeitig verstehen, dass gerade Kinder nicht unbedingt so kritisch reflektieren und den Quatsch für ernsthaft cool halten. Wer der allgemeinen Verrohung Einhalt gebieten will, hat also durchaus Argumente für eine Indizierung.

Die Begründung der BPjM (sinngemäß: "Ich tue dir weh" zeigt S/M-Praktiken, "Pussy" animiert zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr) wirkt jedoch etwas seltsam, da das Album mit "Wiener Blut" (der Inzest-Fall Fritzl aus der Ich-Perspektive) doch deutlich perversere Angriffsfläche zu bieten hat.

So liegt wieder der Verdacht nahe, hier bediene Ursula von der Leyen ihre antiquierte CDU-Linie: Schlimmes wird nicht effektiv bekämpft, sondern es werden willkürlich Sündenböcke mit populistischen Mitteln aus dem Blickfeld verbannt (auch eine Indizierung bedeutet lediglich: keine öffentliche Bewerbung, kein offener Verkauf an unter 18 Jahre alte Personen). Dass die entsprechenden Medien dennoch oder gerade deshalb massenhaft in Kinderzimmern und Schultaschen zu finden sind, will ich Frau von der Leyen gar nicht anlasten; ihr konservatives Weltbild aber verstellt ihr den Blick auf Realitäten und führt dazu, dass gegen die Vernunft, zugunsten irgendeiner "Sicherheit" und zu Lasten echter Initiative vorsorglich erstmal verboten und eingeschränkt wird. Freiheit, Eigenverantwortung, Selbstständigkeit - Fehlanzeige. Die Frau bemuttert eine ganze Nation und hält das vermutlich für sinnvoll - wie eine Mittvierzigerin im Kirchenvorstand, die ihren Pubertierenden vor "schlechtem Umgang" beschützt und ihm in Wahrheit nur die Fähigkeit nimmt, mit der Realität umzugehen. Irgendwann zündet der Bengel was an - und dann waren es wieder die bösen Filme vom Klassenkameraden.

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Madrid 2007-2008
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