Sonntag, 28. Oktober 2007

Die Schattenseite

Dieser Beitrag liegt mir persönlich am Herzen, weil er ein kleines bisschen mit Klischeebild und Erwartungshaltung bricht, mit denen man im Zuge von ERASMUS oft konfrontiert ist.

Es ist nicht immer lustig. Kein 24/7 Urlaubstrip mit Kaltgetränken inklusive Sonnenschein-Lächeln im Gesicht der Buddies for life. Kein All-You-Can-Fuck mit Daueranimation der Gaststadt. Zwar versuchen viele ERASMUSianer, sich genau diese und viele weitere Klischees von der "geilsten Zeit im Leben" zurecht zu leben, aber letztlich feit es sie nicht dagegen. Nicht gegen die vielen kleinen Leeren und Einsamkeiten, Verzweiflungen und Frustrationen, die Absurditäten und Enttäuschungen: Wenn man auf der ERASMUS-Party inmitten grotesk geschminkter Flittchen und 90er Eurodance-Beats bei zwei deutschen Jurastudenten steht, mit denen man Zuhause nichtmal tot gesehen werden wollen würde; wenn man auch beim vierten Mal nachfragen einfach nicht versteht, wie hoch die Kosten der Wohnung sind; wenn man trotz aller erzwungener Lockerheit im Gespräch plötzlich die Entfremdung und Sprachbarriere zum Gegenüber spürt; oder wenn man einfach mal allein ist, inmitten von all dem Trubel, weil einen hier ja doch niemand wirklich kennt.

Natürlich geht jeder anders mit solchen Momenten um, viele verwandeln sie in etwas Positives, andere sitzen sie still für sich aus, mancher verdrängt einfach, was bald sowieso nicht mehr von Bedeutung ist. Nur ist das Bild vom maximalst-weltoffenen und problemfreien Fun-ERASMUS-Studenten nicht nur albern, es erzeugt auch sozialen Druck für jeden, der einfach nur ein bisschen normal im Ausland leben möchte; nicht für jeden stellt ERASMUS die Deutschland-Flucht und Vorstufe zur Auswanderung dar. Wer sich aber der Spaß-Diktatur verschließt, hat gute Chancen, bald allein da zu stehen.

Letztlich ist Spanien ein EU-Land mit seinen Vor- und Nachteilen, die es zu entdecken und genießen gibt. Man sollte nur eingestehen, dass auch hier Depression, Ärger oder Probleme existieren und nicht durch ein Austauschprogramm einfach völlig weggewischt werden. Ich persönlich habe tatsächlich ein gewisses "Erleben müssen" gespürt, bei mir und anderen. Nur wir keine 17 mehr sind, und eigentlich bereits wissen was wir wollen. ERASMUS macht seltsame Dinge mit einem.

Die Kleidung

Ausländer sind relativ gut zu erkennen, wenn man sich einmal an Kleidungsstil der Spanier gewöhnt hat. Freaks und Punks sind Mangelware, pauschal sind Spanier auch im Freizeitdress elegant und eleganter gekleidet als Deutsche, sogar die Prolls in Ballonseide sehen besser aus als ihr deutsches Pendant. Dabei sind die Outfits grundsätzlich aufeinander abgestimmt, von Brille über Shirt/Bluse, Gürtel, Hose und Schuhen passt alles zusammen (von subjektiven Geschmacksfragen mal abgesehen).

Kleidung ist dementsprechend flächendeckend verfügbar und erschwinglich, H&M ist hier sogar etwas günstiger als in Deutschland.

Die Warenwelt

Ich habe die Globalisierung überschätzt. Spanien ist was das Warenangebot angeht keineswegs mit Deutschland gleich zu setzen. Generell ist alles ein wenig teurer, vor allem Lebensmittel und Kosmetik kosten einfach mehr als in Deutschland. Parallel ist die Palette an Waren deutlich geringer. Die in Deutschland schon formvollendete Super Mall-isierung des Lebens lässt hier noch ein wenig auf sich warten. Zwar kaufe ich auch hier Lebensmittel und Alltagskram beim Discounter (ein PLUS ist direkt vor der Haustür), aber sobald es spezieller wird ist man verloren: Magnesiumtabletten, Sicherheitsnadeln, Wärmeleitpaste und PC-Teile... schnell sucht man neunstöckige Kaufhäuser rauf und runter, fragt sich durch zehn Apotheken oder PC-Superstores, um am Ende doch immer noch nichts in der Hand zu halten, oder eben ohne Auswahl das Dreifache des deutschen Preises zu bezahlen. Manchmal wundert man sich auch einfach, wenn man im großen Supermarkt nur mit Müh und Not überhaupt eine überteuerte Sorte Speisequark findet, wo in Deutschland die Fülle an Konkurenzprodukten erschlagend ist.

Obst und Gemüse gibt es auch hier beim Türken/Inder/Chino um die Ecke, letztere kontrollieren recht flächendeckend die so genannten "Alimentaciones": Ungefähr in jeder zweiten Straße findet sich einer dieser Läden, in denen auch bis 23 oder 24 Uhr noch eine Notfallration von allem haushaltsüblichen erworben werden kann; darüber hinaus verkaufen die meisten unter der Hand kaltes Bier, ein Segen für Nachtschwärmer.

Ausnahme im Angebotsdefizit ist Kleidung (mehr an anderer Stelle), die flächendeckend und preislich angemessen erhältlich ist (im Corte Ingles, dem spanischen Karstadt, sind z. B. 5 von 9 Etagen nur Kleidung). Vor allem Schuhe findet man vielfältig und zu menschlichen Preisen.

Neben der Innenstadt mit seinen Standardläden und den Malls in der Peripherie gibt es in Chueca und Malasana (eigentlich Ausgehviertel der Jugend) fantastische kleine Läden für Kleidung, Musik, Bücher und vieles mehr zu entdecken, die eine Menge Charme auf wenig Raum bereithalten.

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