Madrid 2007-2008

Montag, 21. Januar 2008

Wie ich in einer trunkenen Madridnacht Gandalf dem Weißen begegnete

Er sprach nicht. Mit einem Stöckchen ritzte er knieend seine Worte in den Sand, schlohweiß fielen ihm Haare und Bart vom Gesicht herab. Eine Geschichte der Erleuchtung: Von barfuß im Himalaya, vom Schwarzwald, von Jahren in einer Psychiatrie in Tibet, vom Reisen und Ankommen, vom Entsagen und Absagen, von Bedeutung und Verwässerung. Am Ende eine Einladung "zum Tee".

Dann eine Wohnung in einem Studentenwohnheim, ein Obstsalat, milchiger Tee aus einer verzierten Kokosnussschale. Nur in Gesellschaft isst er, bis dahin fastet er eben. Und mehr Weisheit über die Macht der Frauen, zufällig erlebtes Theater, das Neinsagen und Abhängen. In gewundenen Blöcken schweigsam und mit lebhaften Augen auf Papier geschrieben. Zuletzt bin ich zu ignorant, um zu verstehen, was ich nicht verstehen kann. Die Postkarte mit meiner zweiten Chance, eine Umarmung, dann wieder die kalte Nacht - das und vielleicht viel mehr habe ich bekommen.

Nur eine Madridnacht in der ich Gandalf dem Weißen zum Tee folgte.

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Freitag, 16. November 2007

Zwei reden, einer bangt

Analog hierzu.

In die ERASMUS-Bar, weil: Bier zwischen 10-12 umsonst, wenn auch Plörre (schlimmer als Karlsberg geht aber schließlich nicht). Bekanntes Gesicht taucht nicht auf, also wird Freundschaft mit anderen Menschen vor Ort geschlossen; in meinem Fall mit zwei netten Franzosen. Einer des Deutschen mächtig, weil Student in Mainz, einer wie ich ERASMUS-Spanier. Und dann gibt es das Kommunikationsdreieck: Mal reden die Beiden untereinander auf französisch, mal rede ich mit einem auf Deutsch oder Spanisch. Einer von uns hörte immer zu, weil er - so er denn etwas verstand - nicht mitreden konnte. Ich musste an Olli Schulz denken.

Statusreport

Mich hat eine seltsame Mischung aus Herbst-Lethargie und innerer Befriedigung erfasst; die Stimmung, in der man sich selbst gerade noch so einreden kann, die eigene Passivität wäre ein Ausdruck von voller Zufriedenheit. Dabei weiß man es doch mittlerweile besser, dass es eher Ruhe vor dem Sturm, nur ein Auftakt zu Aus-, zu Aufbruch oder ein Moment vor dem Loch und Abgrund ist. Seltsamerweise geht es mir gut. Behaupte ich und glaube mir. Aber ein Rest Argwohn bleibt.

Im Zusammnehang kurz wieder über ERASMUS und das eigene Verhalten reflektiert. Saturiertheit passt nicht zum Klischee. Soll ich nicht doch mehr ausgehen, mich mehr in die Menge werfen, mehr Gespräche führen, die sich oft als nutzlos, fruchtlos, uninteressant herausstellen werden? Soll ich mehr aus allem machen, mehr an allem teilnehmen?
Vorläufig ende ich, wie Ingeborg Bachmann einst endete: "Soll doch. Sollen die andern. Mein Teil, es soll verlorengehn."

Freitag, 2. November 2007

Nicht clever genug

Mahgreb-Spanier (MS): "Habt ihr Feuer?"
V.: "Nee."
Dude: "No fumo."
MS: "Wo kommst du her, Kumpel?"
Dude: "Deutschland."

Und schon habe ich seinen Arm um meine Schulter und einen neuen Begleiter. Während V. und ich uns schon drei Meter weiter für eine andere Bar und zum umdrehen entscheiden, will er sich dann auch schon wieder von mir verabschieden. Mit verdächtig viel Körperkontakt unter Männern und einer umständlichen Geste, bei der ich ihm beinahe den Rücken zudrehen müsste.

Fast schon clever. Beim nächsten Mal nur die Stadien der Freundschaft etwas langsamer durchspielen, dein Kumpel drei Meter weiter müsste weniger auffällig die Straße beobachten, du müsstest sypathischer und geschickter beim Ablenken werden und mich müsstet ihr an nem Koma-Tag erwischen. Dann klappts auch mit euch und meiner Geldbörse.

Sonntag, 28. Oktober 2007

Die Schattenseite

Dieser Beitrag liegt mir persönlich am Herzen, weil er ein kleines bisschen mit Klischeebild und Erwartungshaltung bricht, mit denen man im Zuge von ERASMUS oft konfrontiert ist.

Es ist nicht immer lustig. Kein 24/7 Urlaubstrip mit Kaltgetränken inklusive Sonnenschein-Lächeln im Gesicht der Buddies for life. Kein All-You-Can-Fuck mit Daueranimation der Gaststadt. Zwar versuchen viele ERASMUSianer, sich genau diese und viele weitere Klischees von der "geilsten Zeit im Leben" zurecht zu leben, aber letztlich feit es sie nicht dagegen. Nicht gegen die vielen kleinen Leeren und Einsamkeiten, Verzweiflungen und Frustrationen, die Absurditäten und Enttäuschungen: Wenn man auf der ERASMUS-Party inmitten grotesk geschminkter Flittchen und 90er Eurodance-Beats bei zwei deutschen Jurastudenten steht, mit denen man Zuhause nichtmal tot gesehen werden wollen würde; wenn man auch beim vierten Mal nachfragen einfach nicht versteht, wie hoch die Kosten der Wohnung sind; wenn man trotz aller erzwungener Lockerheit im Gespräch plötzlich die Entfremdung und Sprachbarriere zum Gegenüber spürt; oder wenn man einfach mal allein ist, inmitten von all dem Trubel, weil einen hier ja doch niemand wirklich kennt.

Natürlich geht jeder anders mit solchen Momenten um, viele verwandeln sie in etwas Positives, andere sitzen sie still für sich aus, mancher verdrängt einfach, was bald sowieso nicht mehr von Bedeutung ist. Nur ist das Bild vom maximalst-weltoffenen und problemfreien Fun-ERASMUS-Studenten nicht nur albern, es erzeugt auch sozialen Druck für jeden, der einfach nur ein bisschen normal im Ausland leben möchte; nicht für jeden stellt ERASMUS die Deutschland-Flucht und Vorstufe zur Auswanderung dar. Wer sich aber der Spaß-Diktatur verschließt, hat gute Chancen, bald allein da zu stehen.

Letztlich ist Spanien ein EU-Land mit seinen Vor- und Nachteilen, die es zu entdecken und genießen gibt. Man sollte nur eingestehen, dass auch hier Depression, Ärger oder Probleme existieren und nicht durch ein Austauschprogramm einfach völlig weggewischt werden. Ich persönlich habe tatsächlich ein gewisses "Erleben müssen" gespürt, bei mir und anderen. Nur wir keine 17 mehr sind, und eigentlich bereits wissen was wir wollen. ERASMUS macht seltsame Dinge mit einem.

Die Kleidung

Ausländer sind relativ gut zu erkennen, wenn man sich einmal an Kleidungsstil der Spanier gewöhnt hat. Freaks und Punks sind Mangelware, pauschal sind Spanier auch im Freizeitdress elegant und eleganter gekleidet als Deutsche, sogar die Prolls in Ballonseide sehen besser aus als ihr deutsches Pendant. Dabei sind die Outfits grundsätzlich aufeinander abgestimmt, von Brille über Shirt/Bluse, Gürtel, Hose und Schuhen passt alles zusammen (von subjektiven Geschmacksfragen mal abgesehen).

Kleidung ist dementsprechend flächendeckend verfügbar und erschwinglich, H&M ist hier sogar etwas günstiger als in Deutschland.

Die Warenwelt

Ich habe die Globalisierung überschätzt. Spanien ist was das Warenangebot angeht keineswegs mit Deutschland gleich zu setzen. Generell ist alles ein wenig teurer, vor allem Lebensmittel und Kosmetik kosten einfach mehr als in Deutschland. Parallel ist die Palette an Waren deutlich geringer. Die in Deutschland schon formvollendete Super Mall-isierung des Lebens lässt hier noch ein wenig auf sich warten. Zwar kaufe ich auch hier Lebensmittel und Alltagskram beim Discounter (ein PLUS ist direkt vor der Haustür), aber sobald es spezieller wird ist man verloren: Magnesiumtabletten, Sicherheitsnadeln, Wärmeleitpaste und PC-Teile... schnell sucht man neunstöckige Kaufhäuser rauf und runter, fragt sich durch zehn Apotheken oder PC-Superstores, um am Ende doch immer noch nichts in der Hand zu halten, oder eben ohne Auswahl das Dreifache des deutschen Preises zu bezahlen. Manchmal wundert man sich auch einfach, wenn man im großen Supermarkt nur mit Müh und Not überhaupt eine überteuerte Sorte Speisequark findet, wo in Deutschland die Fülle an Konkurenzprodukten erschlagend ist.

Obst und Gemüse gibt es auch hier beim Türken/Inder/Chino um die Ecke, letztere kontrollieren recht flächendeckend die so genannten "Alimentaciones": Ungefähr in jeder zweiten Straße findet sich einer dieser Läden, in denen auch bis 23 oder 24 Uhr noch eine Notfallration von allem haushaltsüblichen erworben werden kann; darüber hinaus verkaufen die meisten unter der Hand kaltes Bier, ein Segen für Nachtschwärmer.

Ausnahme im Angebotsdefizit ist Kleidung (mehr an anderer Stelle), die flächendeckend und preislich angemessen erhältlich ist (im Corte Ingles, dem spanischen Karstadt, sind z. B. 5 von 9 Etagen nur Kleidung). Vor allem Schuhe findet man vielfältig und zu menschlichen Preisen.

Neben der Innenstadt mit seinen Standardläden und den Malls in der Peripherie gibt es in Chueca und Malasana (eigentlich Ausgehviertel der Jugend) fantastische kleine Läden für Kleidung, Musik, Bücher und vieles mehr zu entdecken, die eine Menge Charme auf wenig Raum bereithalten.

Donnerstag, 25. Oktober 2007

Die spanische Lebensart

Hier eine zufällige Anhäufung beobachteter Dinge:

- Siesta ist Realität. Zwischen 14 und 17 Uhr ist so ziemlich alles zu, viele Spanier haben eine Mittagspause von ca. 2 Stunden, und das Ganze Leben verschiebt sich dementsprechend nach hinten: Abendessen zwischen 21 und 23 Uhr oder in die Disko um 3 Uhr (wenn die Tapasbars etc. schließen) ist normal.

- Spaniern gehen nicht - sie schlendern. Ab und an auch gern mit ausladenden Gesten. Überhaupt hat man mehr Zeit, ist weniger hektisch, pünktlich und gestresst. Angenehm, außer man hat es eilig oder will irgendwas.

- Spanier sind sehr hilfbereit. Frag nach dem Weg und schnell hast du eine Helfertruppe von der Stärke einer Fuballmannschaft.

- Englisch ist keine Selbstverständlichkeit, auch Unistudenten sprechen nicht zwangsläufig gut. Der Nationalstolz der Spanier schlägt sich wohl in der Stellung der Sprache nieder; wer nicht Businessmensch ist, ständig mit Touristen zutun hat oder zur Bildungselite gehört, hat vermutlich keinen Grund, englisch zu reden.

- direkte Antworten liegen Spaniern nicht. Um "Ja" oder "Nein" zu sagen, werden manchmal erstaunlich viele Worte benutzt.

- Stierkämpfe sind zwar bei jungen Leuten oft verpönt, finden aber in Madrid jeden Sonntag das gnaze Jahr über statt. Sie werden im Fernsehen übertragen und sind - wenn auch nicht so populär wie Fußball - doch aktiver Teil der Kultur.

- Fahrräder existieren in Madrid nicht. Zu Fuß, Metro, Auto, Helikopter... Fahrrad. Ungefähr so die Rangfolge der Verkehrsmittel. Klar, schließlich kann man sich beim Radfahren auch schlechter mit zufällig getroffenen Freunden unterhalten.

- Besuch im eigenen Zuhause ist (auch für Einheimische) eher unüblich. Das Leben spielt sich auf der Straße, in Bars und Restaurants, Parks und Diskos ab - aber eben nicht en la casa. In vielen Wohnungen ist Besuch teilweise oder völlig verboten (manchmal sind nur Übernachtungen ein NO-Go, manchmal ist schon der Toilettengang von Unifreunden unerwünscht).

Fortsetzung folgt bei Zeiten

Die Sprache

Der große Knackpunkt, nach wie vor. Ich bin ein langsamer (und zugegeben: fauler) Lerner. Ich erwarte irgendwie, dass es langsam von allein läuft, durch bloße Anwesenheit in diesem Land, aber tatsächlich muss man wollen und üben, bis einem das spanische Idiom flüssig über die Lippen kommt. Italienern und Franzosen fällt das erlernen dieser romanischen Sprache auch offenbar leichter; für mich machts das natürlich nicht besser.

Das große Problem ist, dass ich schlecht verstehe. Zwar kann ich annehmbar lesen, aussprechen und kann ein bisschen was sagen, aber oft verstehe ich die Leute einfach nicht und muss fünf Mal nachfragen, bis ich verstanden habe, dass sie eigentlich nur wissen wollten, wie mein Flug war. Auf Dauer ein Frustgarant, gegen den man aktiv arbeiten muss. Die Madrilenen sind allerdings auch Könige im Lispeln und vernuscheln von Worten ud Wortfetzen.

Trotz allem finde ich die spanische Sprache immer noch sehr schön und fühle mich annähernd heimisch in ihr, der Klang ist deutlich schöner, wenngleich die Ausdrucksmöglichkeiten weniger genau als im Deutschen sind. Ohnehin eine der Haupterkenntnisse: Deutsch ist eine sehr reiche, mächtige, und vor allem: präzise Sprache. Was mir vorher in der Form nicht bewusst war.

Mittwoch, 24. Oktober 2007

Die Universität

Die "Universidad Carlos III de Madrid" liegt etwa 10Km außerhalb von Madrid in der Vorstadt Getafe. Ein Umstand, der die 50-minütige Anfahrt von meiner Haustür bis in den Unterrichtsraum erklärt. Die Verbindung ist aber gut und zuverlässig, so dass einem alles viel schneller vorkommt.

04-Gebaeude-17-innenDie Uni selbst ist gerademal zehn Jahre alt, dementsprechend blitz und blinkt alles, Neubauten oder rundum sanierte Gebäude zieren den Campus in Getafe (es gibt noch zwei kleinere Unterrichtsorte, die ich aber nicht besuche). Die Ausstattung der Unterrichtsräume ist modern, in meinem Gebäude 17 (dort wird der Großteil des Medienangebots unterrichtet) haben die meisten "Aulas" Beamer und/oder Lautsprecher; zusätzlich gibt es zahlreiche PC-Räume und Räume für Pre- und Postproduction.
01-KlassenraumDieser Luxus dürfte nicht unwesentlich durch die Gebühren finanziert sein, die die Studierenden pro Kurs im dreistelligen Eurobereich entrichten (bei geschätzten 6 Pflichtkursen pro Semester kommt da einiges zusammen).

Die Studenten sind unterschiedlich: In Getafe ist ein Schwerpunkt Jura, ein anderer BWL, dementsprechend kann man hier und da auf 13-Unigelaendeein wenig Schickeria-Studis treffen; da sich Spanier jedoch durchweg eleganter und stilsicherer als Deutsche kleiden, fällt es weniger auf, als in unserer Heimat. In den medienwissenschaftlichen Studiengängen findet man dann aber auch die wenigen wirklich Extravaganten, die der Campus hergibt. Von meiner Uni aus muss ich den Schluss ziehen, dass Studieren in Spanien weniger mit Rebellion und Selbstverwirklichung zutun hat, dafür mehr mit Geld.

15-Kleine-Cafeteria-und-WieseDie beiden (!) Cafeterias bieten von günstigen Bocadillos bis hin zu teurem, aber äußerst reichhaltigem Essen und Fast Food alles, wer will, kann sogar dort Wodka bestellen. Die größere Cafeteria beinhaltet die Mensa und bildet mit der Bibliothek, der Aula Magna + Rektorat. einem großen Platz 27-Unigelaendeund den einrahmenden Gebäuden den Kern bzw. Mittelpunkt der Uni.

Kurse sind bei mir grundsätzlich vierstündig - ein Umstand, den man gut erträgt, wenn man weiß, dass meist eine halbe Stunde früher Schluss ist, manchmal mehr. 30-Unigelaende-zentralDie Dozenten sind (wie die Studierenden) auf Nachfrage sehr zuvorkommend und freundlich gegenüber ERASMUS-Menschen, auch wenn sonst der Kontakt dünn ist.

Das Sportangebot ist übersichtlich und grundsätzlich kostenpflichtig (und teuer), dafür sind aber auch das Unieigene Fitnessstudio oder die Sportanlagen in gutem Zustand.

Und als angemessenen Ausklang: Die Bürokratie ist hier zwar tendenziell noch langsamer als in Deutschland, dafür aber deutlich freundlicher. Das ORI, in etwa vergleichbar dem Auslandsamt, ist ein Hort der Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit. fast bedauere ich es, dort schon nichts mehr klären zu müssen.

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