Freitag, 11. Mai 2012

"Niemand bedroht euer Urheberrecht!" - Eine Polemik

Da haben also einige Prominente und mittlerweile überhaupt eine vierstellige Zahl an Kulturschaffenden einen offenen Brief verfasst, in dem sie das Urheberrecht in Gefahr wähnen (dass der Brief von einem Literaturagenten, also einem Verwerter stammt und nur von den Künstlern unterschrieben wurde, sollte man nicht unerwähnt lassen). Mein erster Gedanke war "häh?". Gehen wir das Machwerk also in Ruhe durch.

Mit Sorge und Unverständnis verfolgen wir als Autoren und Künstler die öffentlichen Angriffe gegen das Urheberrecht.

Die da wären? So kann damit alles gemeint sein. Wer etwas anprangern will, sollte es zumindest benennen können.

Das Urheberrecht ist eine historische Errungenschaft bürgerlicher Freiheit gegen feudale Abhängigkeit, und es garantiert die materielle Basis für individuelles geistiges Schaffen.


1. „…und die Fahne der Freiheit flattert stolz auf den Gipfeln unserer Schaffenskunst!“ 2. Wer bestreitet das in welcher Form? Die Diskussion, die ich kenne und immer wieder führe, dreht sich sehr viel stärker um die Verwertungsrechte. Das Urheberrecht wird von nahezu niemandem ernsthaft in Frage gestellt.

Der in diesem Zusammenhang behauptete Interessengegensatz zwischen Urhebern und „Verwertern“ entwirft ein abwegiges Bild unserer Arbeitsrealität.


Wer behauptet diesen „Gegensatz“? Was sich sehr gut behaupten lässt, ist ein Missverhältnis, wenn es darum geht, wie Nutzer, Urheber und Verwerter vom Urheberrecht profitieren. Zugunsten der Verwerter. Wer das nicht sieht, steht vermutlich so weit oben in der künstlerischen Nahrungspyramide, dass er nicht sehen kann, wie es unten eigentlich aussieht.

In einer arbeitsteiligen Gesellschaft geben Künstler die Vermarktung ihrer Werke in die Hände von Verlagen, Galerien, Produzenten oder Verwertungsgesellschaften, wenn diese ihre Interessen bestmöglich vertreten und verteidigen.


Wenn. Bevor die Verwerter die Interessen der Urheber vertreten, vertreten sie allerdings erstmal die Interessen der Verwerter. Was dann übrig bleibt, bekommen die Urheber. Sind die Vorstellungen der Verwerter nicht erfüllt, spüren das die Nutzer und Urheber gleichermaßen. Die Urheber sollten darüber nachdenken, ob sie die richtige Frontlinie ziehen.

Die neuen Realitäten der Digitalisierung und des Internets sind kein Grund, den profanen Diebstahl geistigen Eigentums zu rechtfertigen oder gar seine Legalisierung zu fordern.


Können wir die Worte „Diebstahl“ und „Raubkopie“ endlich streichen und uns auf „Lizenzverletzungen“ einigen? Was man stiehlt, ist danach weg. Und der Fehlschluss, dass alles, was an Medien illegal besorgt wird, ansonsten bezahlt worden wäre, wird nur durch häufige Behauptung auch nicht plötzlich richtig.

Zur Sache an sich: Nehmen ohne zu bezahlen ist scheiße, auch im Internet. Bevor man die ganz große Diskussion um die Gründe für eine existente oder auch nicht existente „Kostenloskultur“ aufmacht, sollte man aber erstmal das eigene Menschenbild abklopfen: Ist der Mensch von Natur aus diebisch und kunstfeindlich? Dann lohnt die Diskussion kaum, denn wer Leute bestraft sehen will, wird Argumente dafür finden. Sollte man aber zu dem Ergebnis kommen, dass es neben der technischen Machbarkeit weitere Motive geben kann, warum Menschen etwas kostenlos und nicht gegen Bezahlung aus dem Netz laden, kann man überlegen, wie man darauf reagiert. Es läuft dann auf die Frage hinaus: Soll die Gesellschaft dem Recht unterworfen werden? Oder das Recht der Gesellschaft vor dem Hintergrund von deren Realitäten dienen?

Im Gegenteil: Es gilt, den Schutz des Urheberrechts zu stärken und den heutigen Bedingungen des schnellen und massenhaften Zugangs zu den Produkten geistiger Arbeit anzupassen.


Absolut. Nur meine ich vermutlich etwas ganz anderes als ihr, liebe Urheber. Nämlich nicht digitales Händeabhacken, sondern die Schaffung fairer Einnahmemodelle, die weder die Künstler und Verwerter als nützliche Idioten einer „Kostenloskultur“ begreifen, noch die Nutzer massiv kriminalisieren und den technischen Fortschritt zurückdrehen wollen. Mit Letzterem kriegt man vielleicht die Gefängnisse voll, nicht aber die Kassen.

Das Urheberrecht ermöglicht, dass wir Künstler und Autoren von unserer Arbeit leben können und schützt uns alle, auch vor global agierenden Internetkonzernen, deren Geschäftsmodell die Entrechtung von Künstlern und Autoren in Kauf nimmt.


Absolut! Nur meine ich nicht Google wie ihr, liebe Urheber, sondern Abmahn-Anwaltskanzleien, Majorlabels und Verlage. Deren Geschäftsmodell ignoriert die Bedürfnisse der Urheber nämlich gerne viel perfider, und zwar mit der Kumpelmasche und Instrumentalisierung für die eigenen Bedürfnisse. Letzteres kann beispielsweise öffentliche Aufrufe von Urhebern im Dienste der Verwerter nach sich ziehen.

Die alltägliche Präsenz und der Nutzen des Internets in unserem Leben kann keinen Diebstahl rechtfertigen und ist keine Entschuldigung für Gier oder Geiz.


Möge man sich das mit der Gier dann auch in den Chefetagen der Verwerter auf die Stirn tätowieren. Geschäftsmodelle wandeln sich und sind kein für alle Zeiten erworbenes Menschenrecht.

Weiterführendes:

Felix Schwenzel bei der taz
Till Kreutzer auf der 2011er re:publica
Leonhard Dobusch auf netzpolitik.org
Berthold Seliger im Freitag

Sonntag, 24. Juli 2011

Kurz gedacht

- Man kann den unerwarteten Massenmord in Oslo und das mehr oder minder angekündigte Einzelschicksal von Amy Winehouse gleichermaßen tragisch finden.

- Man kann sinnlose Vorverdächtigungen in Richtung Rechtsextremismus und Islamismus einfach sein lassen und die Tragödie für sich stehen lassen.

- Man kann sich fragen, ob es eine neue Qualität ist, dass jemand mit gerade erst erstellten und inhaltlich seltsam genau auf die Medienwahrnehmung zugeschnittenen Profilen in Sozialen Netzwerken mordet, also die resultierende Aufmerksamkeit genauso kühl kalkuliert, wie den eigentlichen Mord mutmaßlich plant.

- Man kann als Mediennutzer den ganzen Dreck von bild.de bis SpOn gerade bei solchen Ereignissen weiträumig umfahren - sofern man gegen diese Art von "Journalismus" ein Statement abgeben und ihn nicht fördern will.

Man kann.

Montag, 27. Juni 2011

Attention (frz.)

Als junger Mensch habe ich diese eine Columbo-Folge gesehen, wo ein Show-Zauberer der Mörder ist und sein Opfer mit einer Guillotine aus seinem Fundus in die Falle lockt und umbringt. Erst zerschneidet er einen Kohlkopf damit, legt sich dann selbst darunter, wobei ihm aber nichts passiert. Als sein Opfer dann den Kopf hineinlegt, legt er einen Schalter um und zzzzzzitt - damals habe ich mir geschworen, nie meinen Kopf in die Guillotine eines Show-Zauberers zu legen. (Peter Falk war 'n Guter. Man sollte im Leben auch immer noch eine Frage haben.)

Donnerstag, 2. Juni 2011

Aber hier leben

Schön ist das nicht, was um Mitternacht am Trierer Hauptbahnhof ein- und aussteigt, prollt und lärmt, stöckelt und glotzt, wenn der nächste Tage ein Feiertag ist. Und plötzlich wird mir bewusst, was mir Tocotronic da gerade ins Ohr singen: "Aber hier leben, nein danke."

Mittwoch, 23. März 2011

Gleichzeitigkeit & Ambiguität

Nahezu alles, was ich hier schreibe, stand - wie immer - anderswo so ähnlich oder im Ansatz auch schon. Ich bin aber für die umfassende Link-Suche gerade zu faul.

Viele Menschen haben kein Konzept von Gleichzeitigkeit & Ambiguität. Das dachte ich bei mir, als Mitmenschen den Guttenberg-Abgang damit Abbügeln wollten, dass es ja in Libyen und Ägypten dringendere Probleme gäbe. Und das denke ich auch jetzt, wenn Mitmenschen andere dafür kritisieren, dass sie vor dem Hintergrund einer historischen Natur-/Reaktorkatastrophe fragen, was diese Ereignisse für den eigenen Fischstäbchen-Konsum oder Urlaub bedeuten, oder das Ereignis instrumentalisieren, um den deutschen Atom-Ausstieg voranzutreiben. Unabhängig davon, dass man solche Haltungen für zynisch halten kann, und sachlich darüber debattieren kann, welche Konsequenzen zu ziehen sind: Ich kann mich mit libyschen Rebellen solidarisch fühlen, und mich gleichzeitig fragen, ob jetzt wohl Benzin teurer wird. Ich kann auch bestürzt über das Unglück in Japan sein, und überlegen, ob ich meinen Kindern jetzt ein halbes Jahr keinen Fisch aus dem Pazifik auf den Teller packe. Diese auch teils widersprüchliche Haltung ist ansich nicht sonderlich ungewöhnlich, sie lässt sich leicht psychologisch begründen: Sie dient dem Überleben. Die permanente Konzentration auf und Identifikation mit dem Übel der Welt wäre nichtmal kurze Zeit auszuhalten. Im Sinne unserer psychischen Gesundheit tun wir also gut daran, tragische Ereignisse zu rationalisieren, erst so geben wir ihnen eine emotionale Größe, die wir bewältigen können (again: mit Recherche ließe sich das psychologisch noch weit differenzierter ausdrücken). Darüber hinaus ist der Mensch eben auch egoistischer, als er empathisch ist (im Mittel) - auch das eine Überlebensstrategie.

Und zu guter Letzt: Ich kann zwar den Impuls verstehen, sich über jene zu empören, die offensichtlich nicht so menschlich reagieren, wie man sich das vorstellt und stattdesen an sich denken. Man tut ihnen aber evtl. Unrecht, man kennt sie ja nicht, weiß nicht, wieviel sie gespendet haben, jeden Tag für die Gesellschaft tun oder wie nahe ihnen all das geht. Die elitäre Arroganz, mit der dann anderen nahegelegt wird, wie sie sich moralisch zu verhalten hätten, finde ich eher eklig. Und letzlich ein bisschen irrational: Hilft es japanischen Fischereien, wenn man sie jetzt boykottiert? Oder dem japanischen Tourismus, wenn man nun seinen Urlaub dort streicht?

Samstag, 19. März 2011

Sich veräußern

Je mehr ich mich professionell äußere, desto weniger tue ich es privat. Weil sonst irgendwann nichts mehr von mir übrig wäre. Man muss aufpassen, sich nicht zu veräußern.

Sonntag, 13. März 2011

Like Dust

"But still, like dust, I'll rise."

Via Anke.

Montag, 7. März 2011

Der Automat war kaputt

Der Automat war kaputt. Wirklich. Aber das kann sie nicht wissen. Auch nicht, dass ich wirklich nur noch exakt 4 Cent im Portmonnaie habe. Ich bin vermutlich noch immer über das Maß hinaus betrunken, auch wenn ich mich dank der kühlen Morgenluft wieder nüchtern fühle. Ein Wunschkunde für einen diesigen Sonntagmorgen sieht anders aus. Ich bin das Gegenteil aus glasigem Blick und schlechter Geschichte.

Ich weiß nicht, ob sie das Geld für die Brötchen, die sie mir über die Theke reicht, bereits als gute Tat abhakt. Skeptisches, aber eben doch blindes Vertrauen. Auch das gibt es. Gottseidank.

Donnerstag, 17. Februar 2011

Neues vom Tage (III)

Die Plagiatsvorwürfe gegen den deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg weiten sich aus. Nach Aussagen des BILD-Chefredakteurs Kai Diekmann sei zu Guttenberg nicht nur in seiner Doktorarbeit freizügig mit fremdem Gedankengut umgegangen: Der Bundesminister habe demnach auch Diekmanns Frisur ohne (Öl-)Quellenangabe übernommen. Die amerikanische Filmproduktionsfirma Warner Bros. prüft ebenfalls rechtliche Schritte gegen zu Guttenberg. Sie vermutet im Brillenmodell des CSU-Politikers ein Plagiat ihrer markenrechtlich geschützten Figur Harry Potter. Eine Klage der flüchtigen nordafrikanischen Despoten Mubarak und Ben Ali vor dem Oberlandesgericht (OLG) in München wurde dagegen abgewiesen: Ein autokratischer Regierungsstil habe in Bayern eine lange Tradition und könne zu Guttenberg daher nicht als Plagiat vorgeworfen werden.

Donnerstag, 10. Februar 2011

Neurosen

I) Angst vor Hochwasserhosen
II) eng am Hals anliegende Kragen
III) auf Fußwegen nicht auf die Kanten der Steinplatten treten

wird fortgestezt

Dienstag, 28. Dezember 2010

Die gestundete Zeit

Es kommen härtere Tage.
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.
Bald mußt du den Schuh schnüren
und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.
Denn die Eingeweide der Fische
sind kalt geworden im Wind.
Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.
Dein Blick spurt im Nebel:
die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.

Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand,
er steigt um ihr wehendes Haar,
er fällt ihr ins Wort,
er befiehlt ihr zu schweigen,
er findet sie sterblich
und willig dem Abschied
nach jeder Umarmung.

Sieh dich nicht um.
Schnür deinen Schuh.
Jag die Hunde zurück.
Wirf die Fische ins Meer.
Lösch die Lupinen!

Es kommen härtere Tage.

- Ingeborg Bachmann

Mittwoch, 24. November 2010

( )

wachsweich sein und
sich
trotzdem nicht
verbiegen

lassen

Dienstag, 26. Oktober 2010

Wild International

KILL. ER. RIFF. Danach fühlt man sich, als könnte man es mit der ganzen Welt aufnehmen.

Sonntag, 17. Oktober 2010

Die Tatort-Einzelkritik: "Der Schrei" (17.10.2010)

Der Tatort ist - wie auch "Wetten dass" oder die "Tagesschau" - eine der wenigen Konstanten in der deutschen Fernsehlandschaft und gilt vielen Leuten als Flagschiff der anspruchsvolleren Unterhaltung - dabei ist sein Ruf und Status oft deutlich besser als dass, was dann tatsächlich geboten wird. Deshalb ab jetzt gelegentlich eine Einzelkritik nach Vorbild des Fußballs.

Die Kommissare: Ulrike Folkerts kühl-professionell, musste viel seufzen und starren, um empathisch zu wirken. Andreas Hoppe brummbärig-lustvoll wie immer. Schauspielerisch höchstens oberes Mittelmaß. 3+

Die Verdächtigen: Der Ex-Kinderschänder recht glaubhaft, der Bräutigam solide in unauffälliger Rolle. 2-

Die Einheimischen: Sekretärin und Gerichtsmediziner haben die dankbarsten Rollen und fast ausschließlich die Aufgabe, durch Akzent ein wenig Lokalkolorit in die Folge zu bringen. Das machen sie so gut wie es geht. 2

Die Opfer-Eltern: Beide klassisch auf "durch den Wind" angelegt, zwischen Over-Acting und hölzerner Darstellung pendelnd. Beiden habe ich ihre Rolle nicht wirklich abgekauft. 3

Die Kinder:
Waren wie immer für Niedlichkeit, Menschlichkeit und launig bis morbide veranschaulichte Familienbande verantwortlich. 3

Die Nebenrollen: Kindfrau Pauline mit Lolita-Tendenz als Glanzlicht einer sonst unbedeutenden Hintermannschaft. 2-

Drehbuch: Zu viele Ansätze, die am Ende nicht ausgeführt wurden: Wozu die Rolle des Kroaten-Säufers? Wozu die Hotel-Angestellte als Verdächtige einführen? Der Plot an sich war spannend, die Auflösung so nicht leicht zu raten, aber als Schlusspunkt dann auch eher blass. Wegen des Themas und der Schauspieler hätte man sich fast mehr vom Kinderschänder-Subplot gewünscht. 3

Regie: Abgesehen von den unsäglichen Alptraum-Sequenzen rund um die tote Tochter und das kitschige und beinahe optimistische Ende keine gröberen Schnitzer. Ach, doch: Der Schrei als Leitmotiv war ein Totalausfall. 3-

Fazit:
Zwei Dinge fallen bei fast allen Tatorten derzeit negativ auf: Erstens der Hang zu psychedelischen Bildern, die Drama oder inhaltliche Tiefe bringen sollen (und das selten bis nie tun). Und zweitens die Unfähigkeit zur subtilen Inszenierung. Dem Zuschauer wird zunehmend die Fähigkeit abgesprochen, dezente Mimik, Dialoge oder Bildsprache zu deuten, stattdessen sind Dialoge immer ein bisschen zu explizit, Bilder immer ein bisschen zu lang, Szenen von INtimität immer ein bisschen zu warm etc. Diese Schwächen zeigt "Der Schrei" ebenfalls, wenngleich auch nicht so deutlich wie andere Tatort-Folgen. Etwas mehr Mut zur Dezenz und etwas weniger Klischees wären wünschenswert.

Das tagesaktuelle Thema (denn eines muss der Tatort immer diskutieren) war mit Kindesmissbrauch und Umgang mit Sexualstraftätern gut gewählt und in die Geschichte eingeflochten; stellenweise war sie interessanter als der eigentliche Fall.

Gesamturteil: 3

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