Michael (Gast) - 12. Mär, 13:06

Andererseits: Ist es nicht völlig normal, dass Menschen (und Medien) nach so einem Ereignis fragen, wie man es hätte verhindern können? Muss es nicht sogar Aufgabe der Medien sein, genau diese Frage zu stellen, statt nur der "Chronistenpflicht" nachzukommen?

Und dann frage ich mich persönlich schon, weshalb man - auch als Sportschütze - fünfzehn Waffen besitzen muss. Warum man es bei einer dieser fünfzehn Waffen nicht so genau genommen hat, mit der Pflicht, sie im Tresor zu lagern - und weshalb das in der Berichterstattung regelrecht bagatellisiert wird. (O-Ton des Waiblinger Polizeichefs: "Es deutet alles darauf hin, dass der Vater hier nachlässig war, was das Verwahren dieser einen Waffe anbelangt.") Und da wir gerade von "Nachlässig" reden: Wo bekommt ein 17jähriger genug Munition her, um seinen privaten Kleinkrieg gegen die Menschheit eröffnen zu können?

Natürlich führt die exzessive Berichterstattung auch dazu, dass Amokläufer "unsterblich" werden. Aber soll man deswegen gar nicht über sie berichten? Einfach totschweigen, was passiert ist - wäre das für Dich ernsthaft eine Alternative?

Denk mal an Erfurt zurück: Neben all der heißen Luft, die von der Politik danach produziert wurde, hat sich - auch dank der medialen Aufmerksamkeit - auch einiges getan, weil sich der Handlungsdruck erhöht hat: Die Polizei wartet jetzt nicht mehr, bis sich ein Amokschütze in der Schule verschanzt hat, sondern interveniert sofort. Die Behörden in BW haben ganz offensichtlich einen passenden Plan in der Schublade gehabt, mit dem sie auf das Blutbad reagiert haben - vom initialen Polizeieinsatz bis zur Entsendung von geschulten Psychologen. Das ist zwar "nur" Schadensbegrenzung - hat in diesem Fall aber anscheinend vielen Schülern das Leben gerettet.

Dass die Berichterstattung darüber nicht gerade ideal abläuft, dass jetzt wieder jeder vermeintliche "Experte" vor die Kamera gezerrt wird, dass man ziellose Liveschalten zum Unglücksort macht, irgendwelche Nachbarn interviewt und makabere Klickstrecken zusammenstellt - das ist alles sicher nicht optimal. Aber da gilt die Devise: Nicht nur nörgerln, sondern erst mal besser machen.

DeDe - 12. Mär, 13:59

Das überhaupt berichtet wird und werden muss, stelle ich natürlich nicht in Frage, ebenso wenig das äußerst menschliche Bedürfnis, den unangenehmen Spannungszustand im Kopf namens "Unsicherheit/Unerklärbarkeit" durch Rationalsierung auflösen zu wollen.

Was ich aber sehr wohl kritisieren kann und muss, ist die schleichende Institutionalisierung von einer unredlichen, unethischen Art, über diese Ereignisse zu berichten. Immerhin ist eine Tendenz erkennbar, die leises Hoffen zulässt: zehn Berichten, die sich mit Emotionalisierung und affektivem Expertengeplärre im Blut wälzt, stehen mittlerweile nicht mehr null, sondern ein bis zwei Beiträge gegenüber, die darauf aufmerksam machen, dass solche komplexen Individualphänomene wie Amokläufe möglicherweise nicht durch eine Kamera am Schultor zu beheben sind, sondern eine tiefer gehende Auseinandersetzung erfordern. Insgesamt aber habe ich den Eindruck, dass man sich - seitens der Medien, Institutionen und überhaupt der Menschen - gemütlich in seinem Entsetzen einrichtet, gen Himmel wehklagt, dann kurz alle Stiefkinder von Killerspiel über Metalmusik bis Waffenrecht abwatscht, um danach in Ruhe zurück in den bürgerlichen Alltag abtauchen zu können, ohne dass sich nur irgendetwas geändert hätte. Das ist das Gegenteil von Verantwortung.

Ich wünsche mir die Debatte, nur sollte sie sich wirklich um mögliche Ursachen, anstatt um Symptome drehen. Aber ich sehe sie in ihren Ledersesseln vor mir: "Das können wir den Lesern/Zuschauern/Wählern/Menschen nicht vermitteln." Denn am System möchte dann ja doch niemand wegen einer handvoll toter Kinder rühren (ich entschuldige mich für soviel Zynismus, aber er liegt leider nahe).

Dass niemand über ein Dutzend Waffen braucht, steht wohl kaum zur Debatte. Es braucht auch niemand Autos mit 300 PS, aber in beiden Fällen würde ich dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit den Vorzug vor meinem Sicherheitsbedürfnis geben. Der Umgang ist entscheidend. Wenn diese Waffe und die zugehörige Munition tatsächlich nicht weggeschlossen waren, bin ich sicher, dass das nach gültigem Recht eine Anklage rechtfertigt. Die Ursache des Amoklaufs ist die Existenz der Waffe aber nicht. Ich bräuchte trotz eigener Milieuferne hier in Trier keine 3 Tage, um mir eine scharfe Waffe und Munition zu besorgen.

Dass die Polizei aus den Ereignissen lernt und neue Einsatzpläne konzipiert, finde ich eine vernünftige Reaktion; letztlich ist genau das ihre Aufgabe und das, was sie leisten kann. Dabei sollte nicht unerwähnt bleiben, dass viele Polizeibeamte mit der Gefahr für ihr eigenes Leben und dem Druck solcher Anweisungen nicht umgehen können.

Ich wiederhole mich, aber: Man muss mit solchen Ereignissen leben. Oder sich auf langwierige, tiefgreifende Gegenmaßnahmen konzentrieren.

p.s.: Zum besser machen bleibt zu sagen, dass ich mit meinem Eintrag das Bild vervollständigen wollte. Die Seite der Ereignisse, die in den etablierten Medien Beachtung findet, habe ich dabei ausgespart. Das kann man durchaus als "besser machen" verstehen.

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