Tag 2 (FR)
Zur besten Festivalzeit schälen wir uns um 10 aus den Schlafsäcken, um uns nach einer klassischen Zeltnacht in einen menschenwürdigen und -ähnlichen Zustand zurück zu versetzen. Die Mädels duschen, wir Jungs halten es mit Feldwäsche, Zähneputzen oder einfach nur Kleidung wechseln und einmal mit der Hand durch die Haare. Wir sind hier schließlich nicht auf Oma's 80. Dann den Grill an, denn um 12 muss es ja Fleisch zum wegzuzzeln geben. Der Campingplatz lebt derweil schon wieder oder immer noch, bei manchen Leuten schwer zu unterscheiden. Mit Grillsteak im Magen wechsle ich zu GUDER LAUNE und weg vom Mixery-Bier-Placebo hin zu waschechtem Becks, gut durchgeschlaucht.
Bei der Bandplanung kristallisieren sich 2 Fraktionen heraus: das Kaizer's Orchestra-Babyshambles-Lager und die Stone Sour-Alice in Chains-Anhänger, zu denen ich mich zähle. 14:50 Uhr ist früh, aber machbar, und so satteln wir rechtzeitig mit Tetrapak bewaffnet die Pferde und machen uns auf zur Hauptbühne. Dieses Jahr wird einem auch nicht das "Wurfgeschoss" Tetrapakdeckel von den filzenden Securitys am Eingang abgenommen.
Wir kommen etwas zu spät und der Gig von Stone Sour läuft bereits. Corey Taylor ist in Stiimmung und es gibt mächtg aufs Maul, eine klassische Metalshow. Die Songs mischen sich gut aus altem und kommendem Material und die "Frittengabel" wird von den Fans ausführlich in die Luft gereckt. Nach 2/3 der Show kommt Corey dann mit folgendem: "Do you wanna hear some old Stuff?" Fans: YEEEEAHHHH! Corey: "Do you wanna hear "Bother"?" Fans: YYYYYYYYEEEEEEEEEEEAAAAAAAAAAHHHHHHHH! Corey: "And thats why we're not gonna play it! This is a new one...!" Wow. Ich wollte "Bother", diesen Killer von einer Ballade, der mich 2003 ahnungslos an der Hauptbühne stehend den Kopf drehen und die Band entdecken ließ, unbedingt hören. Und er spielt es nicht. Das ist schon wieder so Rock, wie er auf die Erwartungshaltung scheisst, das ich kaum trauern kann... Stone Sour verabschieden sich mit "Get Inside" und waren ganz einfach gut. Straight, kraftvoll, gut.
Dann kommen Alice in Chains und ich habe Angst. Angst, dass diese tolle Band, deren grandioser Sänger Layne Staley 2002 an einer Überdosis starb, sich und ihre Legende nun demontieren werden. Sie kommen, Gitarrist Jerry Cantrell und die anderen und spielen die Songs. Der Sänger kommt, ein namenloser (er wird vorgestellt doch ich verstehe den Namen nicht) Schwarzer mit Dreads. Er macht seine Sache gut, die Band spielt tight, aber da ist immer dieses Gefühl, dass etwas fehlt, dass die Seele des ganzen tot ist; denn das ist sie. Leider. Dann kommt für "Would?" James Hetfield auf die Bühne und singt den Song, der einer der größten dieser Band ist. Ein bisschen Gänsehaut, doch... ein zwiespältiger Auftritt, technisch einwandfrei. Sie konnten einfach nicht gewinnen.
Mit Dir En Grey folgt etwas, worauf ich nicht vorbereitet bin: 5 schmächtige, durch ihre schmale Statur und das dezente Makeup leicht weiblich wirkende Japaner kommen auf die Bühne und spielen Musik zwischen Metal, Emo und Rock. Eine ruhige, perlende Gitarrenfigur, ein Break und schon tickt der Sänger aus, windet sich am Boden, schreit sich die Lunge aus dem Leib. Vertontes Leiden, für die meisten wohl verstörend, für mich in seiner Intensität aber nur beeindruckend... schön wäre das falsche Wort. Balladeske Passagen wechslen mit zerfahrenen Mettalparts, gesungen wird größtenteils auf japanisch. Der Sänger hat unter seinem offenen, dünnen Seidenhemd einen Schriftzug in seine Brust geritzt, den er mit seiner Hand während der Show blutig reibt. Helge erzählt später, das er auch noch aus dem Auge geblutet hat, bzw. aus der Platzwunde darüber, die er sich bei seinen ZUckungen zuzieht. Wahnsinn. Will ich wiedersehen. Aber den rest bekomme ich nicht mehr mit...
...weil ich auf dem Weg zu Tomte bin, die gleich die Alternastage rocken sollen. Tomte kann man nie genug sehen, dieses Jahr dürfen es ruhig 3 Mal sein. In der Alternastage ist der Einlass in den vorderen Bereich sehr gut organisiert (im Gegensatz zur Centerstage, wo brutales Schieben an der Tagesordnung ist): Rein kommen erst Leute, wenn alle Desinteressierten von der vorigen Band gegangen sind. So komme ich recht easy in die 2te Reihe und bin dran am Geschehen. Tomte spielen einen entspannten Gig, das Set ist das selbe wie eine Woche zuvor beim Rocco, nur etwas verkürzt. Das ist gut, das muss man lieben, wenn auch kein überragender Auftritt. Und ein Tomte-Set ohne "Schönheit der Chance" am Ende? Naja. Thees ist mal wieder angenehm verspult und bittet, ihn beim umherirren auf dem Festival heimzubringen, nennt die Dresden Dolls "die härteste Metalband der Welt" und freut sich auf Art Brut und die Turbojugend DJs im Coke-Zelt. Und ich teile mit Tomte "eine Liebe zur Musik, eine Liebe zu den Tönen". Nur eine der vielen wunderbaren Wahrheiten.
Für mich ist Zeit zu Changen, die Deftones sind bereits auf der Hauptbühne zugange und da warten die anderen auf mich. Auf dem Weg schallt mir "My own Summer" entgegen und Chino Moreno wirkt auf dem Monitor dicker als sonst, aber auch energiegeladener. Die vorherigen Bedenken meiner Truppe und mir hinsichtlich des Reinkommens in den Teil vorm Wellenbrecher sind berechtigt, aber Dank jahrelanger DrückundSchieb-Erfahrung komme ich wieder an unsere Crew, bzw. Teile davon heran. Helge erklärt mir, Möwi und Bo wären im Moshpit. Ich will lieber aus der Entfernung geniessen. Die Deftones sind besser als 2003, die Band wie immer, aber: Chino ist definitiv nicht zu bekifft, was ich kaum glauben kann. Und so hat er genug Luft, um die 7 Fucks "7 Words" hintereinander aus seiner Lunge zu peitschen. Fast aggressiv kommt er rüber. Ich spekuliere, ob heute einer der besten Songs der Deftones, das Duett "Passenger" mit Tool-Sänger Maynard James Keenan Wirklichkeit wird, das wäre ein Traum. Er soll unerfüllt bleiben. Währenddessen bricht Chino einen Song ab ("Stop the fucking Music!"), und beleidigt einige Leute in der Menge, weil im Moshpit gestürzte Rocker nicht schnell genug oder gar nicht aufgehoben werden. Geil! "Digital Bath", "Change", "Back to School", ja, alles wichtige dabei, ein überzeugender Auftritt.
Jetzt sind Korn dran, und ich weiß: Reihe 1 bei den nachfolgenden Tool geht nur mit Reihe 1 bei Korn und das bedeutet Stress... ich treffe Bo, der auf dem Rückweg aus dem Pit ist, während ich mich nach vorne arbeite. Klassischer Trick: Mitten in den Moshpit bewegen (glatter Selbstmord) und dann am Start alle Kraft aufwenden, um die entstehenden Lücken nach vorn zu nutzen. Die ersten 3 Reihen werden meist recht zuverlässig durch die Hinterleute so nach vorn gedrängt, dass sich niemand bewegen kann, ergo: man behält seinen Platz. Aber ich schaffe es auch so in die 2te Reihe, noch vor dem Gig.
Dann stehen 2 Meter neben mir plötzlich Swaantje, Maggi und Jan, die von den Babyshambles kommen. Besser gesagt: kommen sollten. Ich wusste bereits dank radioeinblendung mit marek Lieberberg, dass sie nciht kommen würden und lache herzlich und freue mich über meine Centerstage Wahl. Mit Beginn von Korn verliere ich die anderen wieder, denn da bricht die Hölle los. "It's On!" als Opener, das nenn ich gelungen, da geht der Dude doch auch mal ab! nach ihrem desolat schlechten 2004er Auftritt haben Korn einiges zu beweisen... und das tun sie. Verstärkt durch Tourgitarristen, 3 Maskentrommler bzw. -backgroundshouter prügeln sie sich durch alt und neu. Und es macht Spaß! Zwar ist das hier nicht der rohe 1994er Zorn des Debuts, aber es ist der bestmögliche 2006er Profi-Zorn, den man noch erwarten kann. Jonathan Davis ist im Schottenrock unterwegs und gibt den Berufsfreak. Den neuen Kram a la "Twisted Transistor" (als sehr durchschnittlicher Song immer noch der beste der aktuellen Platte...) mag ich nciht so, aber das alte Zeug geht ab wie die Luzie. "Falling Away from Me", "Got the Life", "Somebody Someone", "Wake up", "Here to Stay", "Twist", "Freak on a Leash"... UUUAAARRGGH! Für die Zugabe kommt Jonathan Davis mit Dudelsack zurück und jedes Kind weiß, das jetzt "Shoots and Ladders" kommt... wer das nicht spürt, spürt nix mehr. Apropos: Ich wurde mittlerweile dank lahmer Dummköpfe vor mir soweit zur Seite abgedrängt, dass ich direkt vor der Wand von Subwoofern stehe... wenn der Drummer sein Sinus-Effektpad spielt, was so das basslastigste ist, was man sich vorstellen kann (wie in diesen Prollkarren), spüre ich den Bass nciht nur im Körper, sondern bekomme einen ordentlichen Windstoß ab! Gut, dass es die Ohrstöpsel gab. Korn treten ab, mit "the Song everything started with". "Blind" schließt den Kreis von Korn 1994 und 2006. Ihre Revolution haben sie hinter sich, aber das war nichtsdestotrotz richtig gut.
Tool. Die Erwarungshaltung, mit der ich, mittlerweile in der 2ten Reihe Mitte, in dieses Konzert gehe, ist extrem hoch. Die komplexeste Musik, die ich im Rock aktuell verorten kann, live auf der Bühne. Es werden 4 Leinwände auf der Bühne aufgebaut, auf der später Tools Videos und Kunstclips laufen werden. Wie übrigens auch auf den Großleinwänden, denn Tool werden von keiner Kamera eingefangen, überall die Videos. Schlecht für die, die weiter hinten stehen und nur die Band erahnen können (was wird Swaantje später fluchen!). Dann kommen sie, Justin Chancelor (b), Danney Carey (dr), Adam Jones (g) und Maynard James Keenan (voc, piano). Sänger Maynard bleibt die gesamte Show über im Hintergrund an seinem Mikro, die Kommunikation mit dem Publikum hält sich in Grenzen ("Hi Germans") und auch an Show gibt es nur Ausdruckstanz von ihm, während Adam völlig ausdruckslos spielt, Justin sich ab und an mit seinem Bass wiegt und Danny fast schon lässig seine irren Grooves spielt. Tool machen also das, wovon sie enorm viel verstehen: sie spielen ihre Musik und das mit einer Perfektion, die einen erblassen lässt. 12/7, 6/5, 11/8... nur eine Auswahl der Takte, die da auftauchen. Die neue Platte wird ausfühlich gespielt, "Viscarious" ist das neue "Schism", dann gibt es "10000 Days", "The Pot", "Right in Two", "Wings for Marie", "Stoned Rosetta" und dazu alte Sachen wie den Opener "Stinkfist", das erwähnte "Schism", das in der Mitte um einen gehirnzersetzenden Wahnsinnspart erweitert wird, "Parabola", "Sober"... mir persönlich hat nur "The Grudge" mit seiner enormen Wut gefehlt. Aber die ist auch so schon da, wer das auf Platte für lasch hält, geht da live hin, WOW! Und was für ein Sound! Nie habe ich sowas vorher gehört, jede Note, jeder Effekt, klar zu verorten und doch ein organisches Ganzes. Die Musiker allesamt Wahnsinnige vor dem Herrn, Carey ist wohl der beste Schlagzeuger (technisch, ansonsten ists nach wie vor Dave Grohl) den ich je gesehen habe, Maynard singt live wie auf Platte, kein Abfall, Jones spielt regungslos perfekt seine Parts und hat den geilsten Gitarrensound des Planeten, Justin ist Gott, niemand kann dieses Schism-Lick so spielen wie er. Ein Mädchen links vor mir fragt ihren Freund lächelnd, ob er auch so Schlagzeug spielen könnte. Der schüttelt nur wie in Trance den Kopf und murmelt dann weiter mantraartig "das ich das noch erleben darf". Recht hat er. Wenn ich jetzt sterbe, habe ich alles gesehen. Dann ist irgendwann alles vorbei und ich lasse mich wegen der nervigen Guns n Roses Fans, die schon zu Tool-Zeit nach Axl rumgröhlen mussten vorne rausziehen. Dann erfahre ich noch von der Hauptbühne, das Guns n Roses gegen 2 oder halb 3 auf der Hauptbühne anfangen wollen und die Babyshambles um die selbe Zeit auf der Clubstage spielen wollen. Lächerlich, die können mich.
Stattdessen gehe ich (es ist etwa 0:30) Richtung Clubstage, um mich bei Dredg aufzuwärmen, da ich in Shorts und einem Shirt mittlerweile jämmerlich friere. Mmmh, Fischbrötchen, muss ich haben. Als ich zubeißen will, dreht sich neben mir Helge um. Die Norddeutschen treffen sich also am Fischstand, soso, haha.
Ich überrede ihn, genauso durchgefroren wie ich, zu Dredg, die um 1 Uhr auf der Clubstage loslegen. Von denen hat auch Steffen im Zug geschwärmt, bzw. von dem Schlagzeuger, der gleichzeitig Keys und Drums spielen soll. Tut er dann auch wirklich (wie genau sehe ich auf die Entfernung nicht), der ernergische Schlagzeugstil mit dem Drumstick immer wieder zum Himmel unterhält aber auch. Der Sound ist die ersten Songs grottenschlecht, ein bekanntes Clubstage Phänomen, wegen dem ich zB In Flames, die im Grunde jedes Jahr beim Ring spielen, nie mit gutem Sound gesehen hab. Dredg sind gut, sehr atmosphärisch, spielen mit Intros und Einspielern von sich überlagerndem Gelächter, Klangteppichen und einer Lap Steel Guitar. Der Sänger ist wirklich gut, das berührt. Nach 2/3 des Konzerts gebe ich auf, die Kälte hat vorläufig gewonnen. Zurück am Zeltplatz warten die anderen bereits und wir tauschen Konzerterlebnisse, beschimpfen die Babyshambles bzw. Pete Doherty (weil der sich morgens in Barcelona beim Fixen auf dem Flughafenklo verhaften ließ, kamen sie zu spät), hören gutes über die Dresden Dolls vor allem von Maggi, auch gutes über Art Brut und Kaizer's Orchestra, schlechtes über Nelly Furtado und durchschnittliches von Jamiroquai, deren "Just Dance" noch bis zur Clubstage rübergedrungen war, als ich bei Dredg stand. Morrissey hat keiner gesehen, schade. Dann wird letztes Becks Bier in unsere Körper eingearbeitet, bevor Väterchen Frost die Runde gewinnt und wir uns in unsere stattlichen Zeltquartiere zurückziehen. Ein Auftakt nach Maß, keine Band enttäuscht, auch nicht die Wackelkandidaten von Deftones und Korn. But: The Best is yet to come, isn't it..?!
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Bei der Bandplanung kristallisieren sich 2 Fraktionen heraus: das Kaizer's Orchestra-Babyshambles-Lager und die Stone Sour-Alice in Chains-Anhänger, zu denen ich mich zähle. 14:50 Uhr ist früh, aber machbar, und so satteln wir rechtzeitig mit Tetrapak bewaffnet die Pferde und machen uns auf zur Hauptbühne. Dieses Jahr wird einem auch nicht das "Wurfgeschoss" Tetrapakdeckel von den filzenden Securitys am Eingang abgenommen.
Wir kommen etwas zu spät und der Gig von Stone Sour läuft bereits. Corey Taylor ist in Stiimmung und es gibt mächtg aufs Maul, eine klassische Metalshow. Die Songs mischen sich gut aus altem und kommendem Material und die "Frittengabel" wird von den Fans ausführlich in die Luft gereckt. Nach 2/3 der Show kommt Corey dann mit folgendem: "Do you wanna hear some old Stuff?" Fans: YEEEEAHHHH! Corey: "Do you wanna hear "Bother"?" Fans: YYYYYYYYEEEEEEEEEEEAAAAAAAAAAHHHHHHHH! Corey: "And thats why we're not gonna play it! This is a new one...!" Wow. Ich wollte "Bother", diesen Killer von einer Ballade, der mich 2003 ahnungslos an der Hauptbühne stehend den Kopf drehen und die Band entdecken ließ, unbedingt hören. Und er spielt es nicht. Das ist schon wieder so Rock, wie er auf die Erwartungshaltung scheisst, das ich kaum trauern kann... Stone Sour verabschieden sich mit "Get Inside" und waren ganz einfach gut. Straight, kraftvoll, gut.
Dann kommen Alice in Chains und ich habe Angst. Angst, dass diese tolle Band, deren grandioser Sänger Layne Staley 2002 an einer Überdosis starb, sich und ihre Legende nun demontieren werden. Sie kommen, Gitarrist Jerry Cantrell und die anderen und spielen die Songs. Der Sänger kommt, ein namenloser (er wird vorgestellt doch ich verstehe den Namen nicht) Schwarzer mit Dreads. Er macht seine Sache gut, die Band spielt tight, aber da ist immer dieses Gefühl, dass etwas fehlt, dass die Seele des ganzen tot ist; denn das ist sie. Leider. Dann kommt für "Would?" James Hetfield auf die Bühne und singt den Song, der einer der größten dieser Band ist. Ein bisschen Gänsehaut, doch... ein zwiespältiger Auftritt, technisch einwandfrei. Sie konnten einfach nicht gewinnen.
Mit Dir En Grey folgt etwas, worauf ich nicht vorbereitet bin: 5 schmächtige, durch ihre schmale Statur und das dezente Makeup leicht weiblich wirkende Japaner kommen auf die Bühne und spielen Musik zwischen Metal, Emo und Rock. Eine ruhige, perlende Gitarrenfigur, ein Break und schon tickt der Sänger aus, windet sich am Boden, schreit sich die Lunge aus dem Leib. Vertontes Leiden, für die meisten wohl verstörend, für mich in seiner Intensität aber nur beeindruckend... schön wäre das falsche Wort. Balladeske Passagen wechslen mit zerfahrenen Mettalparts, gesungen wird größtenteils auf japanisch. Der Sänger hat unter seinem offenen, dünnen Seidenhemd einen Schriftzug in seine Brust geritzt, den er mit seiner Hand während der Show blutig reibt. Helge erzählt später, das er auch noch aus dem Auge geblutet hat, bzw. aus der Platzwunde darüber, die er sich bei seinen ZUckungen zuzieht. Wahnsinn. Will ich wiedersehen. Aber den rest bekomme ich nicht mehr mit...
...weil ich auf dem Weg zu Tomte bin, die gleich die Alternastage rocken sollen. Tomte kann man nie genug sehen, dieses Jahr dürfen es ruhig 3 Mal sein. In der Alternastage ist der Einlass in den vorderen Bereich sehr gut organisiert (im Gegensatz zur Centerstage, wo brutales Schieben an der Tagesordnung ist): Rein kommen erst Leute, wenn alle Desinteressierten von der vorigen Band gegangen sind. So komme ich recht easy in die 2te Reihe und bin dran am Geschehen. Tomte spielen einen entspannten Gig, das Set ist das selbe wie eine Woche zuvor beim Rocco, nur etwas verkürzt. Das ist gut, das muss man lieben, wenn auch kein überragender Auftritt. Und ein Tomte-Set ohne "Schönheit der Chance" am Ende? Naja. Thees ist mal wieder angenehm verspult und bittet, ihn beim umherirren auf dem Festival heimzubringen, nennt die Dresden Dolls "die härteste Metalband der Welt" und freut sich auf Art Brut und die Turbojugend DJs im Coke-Zelt. Und ich teile mit Tomte "eine Liebe zur Musik, eine Liebe zu den Tönen". Nur eine der vielen wunderbaren Wahrheiten.
Für mich ist Zeit zu Changen, die Deftones sind bereits auf der Hauptbühne zugange und da warten die anderen auf mich. Auf dem Weg schallt mir "My own Summer" entgegen und Chino Moreno wirkt auf dem Monitor dicker als sonst, aber auch energiegeladener. Die vorherigen Bedenken meiner Truppe und mir hinsichtlich des Reinkommens in den Teil vorm Wellenbrecher sind berechtigt, aber Dank jahrelanger DrückundSchieb-Erfahrung komme ich wieder an unsere Crew, bzw. Teile davon heran. Helge erklärt mir, Möwi und Bo wären im Moshpit. Ich will lieber aus der Entfernung geniessen. Die Deftones sind besser als 2003, die Band wie immer, aber: Chino ist definitiv nicht zu bekifft, was ich kaum glauben kann. Und so hat er genug Luft, um die 7 Fucks "7 Words" hintereinander aus seiner Lunge zu peitschen. Fast aggressiv kommt er rüber. Ich spekuliere, ob heute einer der besten Songs der Deftones, das Duett "Passenger" mit Tool-Sänger Maynard James Keenan Wirklichkeit wird, das wäre ein Traum. Er soll unerfüllt bleiben. Währenddessen bricht Chino einen Song ab ("Stop the fucking Music!"), und beleidigt einige Leute in der Menge, weil im Moshpit gestürzte Rocker nicht schnell genug oder gar nicht aufgehoben werden. Geil! "Digital Bath", "Change", "Back to School", ja, alles wichtige dabei, ein überzeugender Auftritt.
Jetzt sind Korn dran, und ich weiß: Reihe 1 bei den nachfolgenden Tool geht nur mit Reihe 1 bei Korn und das bedeutet Stress... ich treffe Bo, der auf dem Rückweg aus dem Pit ist, während ich mich nach vorne arbeite. Klassischer Trick: Mitten in den Moshpit bewegen (glatter Selbstmord) und dann am Start alle Kraft aufwenden, um die entstehenden Lücken nach vorn zu nutzen. Die ersten 3 Reihen werden meist recht zuverlässig durch die Hinterleute so nach vorn gedrängt, dass sich niemand bewegen kann, ergo: man behält seinen Platz. Aber ich schaffe es auch so in die 2te Reihe, noch vor dem Gig.
Dann stehen 2 Meter neben mir plötzlich Swaantje, Maggi und Jan, die von den Babyshambles kommen. Besser gesagt: kommen sollten. Ich wusste bereits dank radioeinblendung mit marek Lieberberg, dass sie nciht kommen würden und lache herzlich und freue mich über meine Centerstage Wahl. Mit Beginn von Korn verliere ich die anderen wieder, denn da bricht die Hölle los. "It's On!" als Opener, das nenn ich gelungen, da geht der Dude doch auch mal ab! nach ihrem desolat schlechten 2004er Auftritt haben Korn einiges zu beweisen... und das tun sie. Verstärkt durch Tourgitarristen, 3 Maskentrommler bzw. -backgroundshouter prügeln sie sich durch alt und neu. Und es macht Spaß! Zwar ist das hier nicht der rohe 1994er Zorn des Debuts, aber es ist der bestmögliche 2006er Profi-Zorn, den man noch erwarten kann. Jonathan Davis ist im Schottenrock unterwegs und gibt den Berufsfreak. Den neuen Kram a la "Twisted Transistor" (als sehr durchschnittlicher Song immer noch der beste der aktuellen Platte...) mag ich nciht so, aber das alte Zeug geht ab wie die Luzie. "Falling Away from Me", "Got the Life", "Somebody Someone", "Wake up", "Here to Stay", "Twist", "Freak on a Leash"... UUUAAARRGGH! Für die Zugabe kommt Jonathan Davis mit Dudelsack zurück und jedes Kind weiß, das jetzt "Shoots and Ladders" kommt... wer das nicht spürt, spürt nix mehr. Apropos: Ich wurde mittlerweile dank lahmer Dummköpfe vor mir soweit zur Seite abgedrängt, dass ich direkt vor der Wand von Subwoofern stehe... wenn der Drummer sein Sinus-Effektpad spielt, was so das basslastigste ist, was man sich vorstellen kann (wie in diesen Prollkarren), spüre ich den Bass nciht nur im Körper, sondern bekomme einen ordentlichen Windstoß ab! Gut, dass es die Ohrstöpsel gab. Korn treten ab, mit "the Song everything started with". "Blind" schließt den Kreis von Korn 1994 und 2006. Ihre Revolution haben sie hinter sich, aber das war nichtsdestotrotz richtig gut.
Tool. Die Erwarungshaltung, mit der ich, mittlerweile in der 2ten Reihe Mitte, in dieses Konzert gehe, ist extrem hoch. Die komplexeste Musik, die ich im Rock aktuell verorten kann, live auf der Bühne. Es werden 4 Leinwände auf der Bühne aufgebaut, auf der später Tools Videos und Kunstclips laufen werden. Wie übrigens auch auf den Großleinwänden, denn Tool werden von keiner Kamera eingefangen, überall die Videos. Schlecht für die, die weiter hinten stehen und nur die Band erahnen können (was wird Swaantje später fluchen!). Dann kommen sie, Justin Chancelor (b), Danney Carey (dr), Adam Jones (g) und Maynard James Keenan (voc, piano). Sänger Maynard bleibt die gesamte Show über im Hintergrund an seinem Mikro, die Kommunikation mit dem Publikum hält sich in Grenzen ("Hi Germans") und auch an Show gibt es nur Ausdruckstanz von ihm, während Adam völlig ausdruckslos spielt, Justin sich ab und an mit seinem Bass wiegt und Danny fast schon lässig seine irren Grooves spielt. Tool machen also das, wovon sie enorm viel verstehen: sie spielen ihre Musik und das mit einer Perfektion, die einen erblassen lässt. 12/7, 6/5, 11/8... nur eine Auswahl der Takte, die da auftauchen. Die neue Platte wird ausfühlich gespielt, "Viscarious" ist das neue "Schism", dann gibt es "10000 Days", "The Pot", "Right in Two", "Wings for Marie", "Stoned Rosetta" und dazu alte Sachen wie den Opener "Stinkfist", das erwähnte "Schism", das in der Mitte um einen gehirnzersetzenden Wahnsinnspart erweitert wird, "Parabola", "Sober"... mir persönlich hat nur "The Grudge" mit seiner enormen Wut gefehlt. Aber die ist auch so schon da, wer das auf Platte für lasch hält, geht da live hin, WOW! Und was für ein Sound! Nie habe ich sowas vorher gehört, jede Note, jeder Effekt, klar zu verorten und doch ein organisches Ganzes. Die Musiker allesamt Wahnsinnige vor dem Herrn, Carey ist wohl der beste Schlagzeuger (technisch, ansonsten ists nach wie vor Dave Grohl) den ich je gesehen habe, Maynard singt live wie auf Platte, kein Abfall, Jones spielt regungslos perfekt seine Parts und hat den geilsten Gitarrensound des Planeten, Justin ist Gott, niemand kann dieses Schism-Lick so spielen wie er. Ein Mädchen links vor mir fragt ihren Freund lächelnd, ob er auch so Schlagzeug spielen könnte. Der schüttelt nur wie in Trance den Kopf und murmelt dann weiter mantraartig "das ich das noch erleben darf". Recht hat er. Wenn ich jetzt sterbe, habe ich alles gesehen. Dann ist irgendwann alles vorbei und ich lasse mich wegen der nervigen Guns n Roses Fans, die schon zu Tool-Zeit nach Axl rumgröhlen mussten vorne rausziehen. Dann erfahre ich noch von der Hauptbühne, das Guns n Roses gegen 2 oder halb 3 auf der Hauptbühne anfangen wollen und die Babyshambles um die selbe Zeit auf der Clubstage spielen wollen. Lächerlich, die können mich.
Stattdessen gehe ich (es ist etwa 0:30) Richtung Clubstage, um mich bei Dredg aufzuwärmen, da ich in Shorts und einem Shirt mittlerweile jämmerlich friere. Mmmh, Fischbrötchen, muss ich haben. Als ich zubeißen will, dreht sich neben mir Helge um. Die Norddeutschen treffen sich also am Fischstand, soso, haha.
Ich überrede ihn, genauso durchgefroren wie ich, zu Dredg, die um 1 Uhr auf der Clubstage loslegen. Von denen hat auch Steffen im Zug geschwärmt, bzw. von dem Schlagzeuger, der gleichzeitig Keys und Drums spielen soll. Tut er dann auch wirklich (wie genau sehe ich auf die Entfernung nicht), der ernergische Schlagzeugstil mit dem Drumstick immer wieder zum Himmel unterhält aber auch. Der Sound ist die ersten Songs grottenschlecht, ein bekanntes Clubstage Phänomen, wegen dem ich zB In Flames, die im Grunde jedes Jahr beim Ring spielen, nie mit gutem Sound gesehen hab. Dredg sind gut, sehr atmosphärisch, spielen mit Intros und Einspielern von sich überlagerndem Gelächter, Klangteppichen und einer Lap Steel Guitar. Der Sänger ist wirklich gut, das berührt. Nach 2/3 des Konzerts gebe ich auf, die Kälte hat vorläufig gewonnen. Zurück am Zeltplatz warten die anderen bereits und wir tauschen Konzerterlebnisse, beschimpfen die Babyshambles bzw. Pete Doherty (weil der sich morgens in Barcelona beim Fixen auf dem Flughafenklo verhaften ließ, kamen sie zu spät), hören gutes über die Dresden Dolls vor allem von Maggi, auch gutes über Art Brut und Kaizer's Orchestra, schlechtes über Nelly Furtado und durchschnittliches von Jamiroquai, deren "Just Dance" noch bis zur Clubstage rübergedrungen war, als ich bei Dredg stand. Morrissey hat keiner gesehen, schade. Dann wird letztes Becks Bier in unsere Körper eingearbeitet, bevor Väterchen Frost die Runde gewinnt und wir uns in unsere stattlichen Zeltquartiere zurückziehen. Ein Auftakt nach Maß, keine Band enttäuscht, auch nicht die Wackelkandidaten von Deftones und Korn. But: The Best is yet to come, isn't it..?!
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DeDe - 9. Jun, 02:39
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