Dienstag, 12. Juni 2007

Getestet

Die Musikschreiberei weitet sich aus. Hier mein Plattentests.de-Erstling, auf den ich ein klein bisschen stolz bin. Gar nicht mal, weil ich die Rezi so phänomenal geschrieben finde, eher, weil ich sie schreiben durfte und es wohl nicht die letzte war.

Rock Am Ring '07 - Freitag (Tag 3)

"Bam Babam! De Nutten sind raffiniert! Die nehmen die Kohle an!" Assi-Toni beendet dank der guten Anlage der feierfreudigen Besatzung vom gestrigen Abend die kurze Nacht von L. und mir gegen 7 Uhr morgens. An Erotik ist da nicht mehr zu denken, aber wir stellen fest, dass wir uns beide immer noch gern mögen. Ich bin müde und schaffe es erst gegen halb Zehn aus dem Zelt, vor dem B. und H. sich bereits bei Bier entspannen. Ich gönne mir eine solide Feldwäsche unter dem Wasserkanister, dann kann der Tag beginnen. Dass ich auch nach dem zweiten abendlichen Gelage hintereinander keinen Kater habe, beunruhigt mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, die Müdigkeit lässt das Bier ohnehin langsam laufen. Bis in den frühen Nachmittag passiert das übliche: chillen, trinken, grillen, essen und Unsinn reden. Erst gegen 15.30 Uhr bereiten T. und Ich die Tetrackpacks mit Gaffertape als Getränke-Transporter vor.

Denn wir wollen The Used sehen, die sich auf der Centerstage die Ehre geben. Bert McCracken, seines Zeichens Ex-Freund for live von Pummel Kelly Osbourne, macht seinen Job ordentlich, ich kenne Band und Material nicht besonders und kann nur sagen: Ja, alles ganz nett soweit.

Dann die Hives. Eigentlich eine Schande, die größte Band der Welt um gerade mal halb sechs auf der Mainstage zu verheizen, wo die Band doch vor zwei Jahren gegen Mitternacht die Alternastage fest in ihren Klauen hatte. Hier nun wird vorne mächtig geschoben, so dass ich T. in kürzester Zeit verloren habe, da ich ja unbedingt genau nach vorne in die Mitte muss. Pelle und Co. kommen und geben gewohnt Gas, so dass nach einigen Stücken meine Hose im Mosh-Pit zerrissen wird. Die wenigen neuen Stücke, die gespielt werden, sind nicht direkt mein Ding, Hits wie "Walk, Idiot, Walk" oder "Die, Allright" gehen dafür doppelt gut ab. "There are 90.000 Hives-Fans out there watching our show" gibt Pelle zum besten. Ach, was für eine talentierte geile Sau! Leider beginnt mit den Hives auch ein Phänomen, dass sich leidlich durch diesen Ring ziehen wird: zum einen der nicht gerade berauschende Sound (von der Center Stage mir so noch nicht bekannt), und zum anderen die fehlende Magie. Natürlich spielen sich die Hives den Hintern wund, aber die entfesselte Kraft, mit der ich sie bereits vorher gesehen hatte, fehlt. Vielleicht lags an der Uhrzeit, vielleicht an der Erwartungshaltung, vielleicht an der Band. "There is not a single second of silence in a Hives-Show. If there is silence, you applaud" post Pelle, flirtet mit den ersten Reihen und zerreißt dann sein Hemd. Gegen Ende dive ich aus der Menge, das war in meinem Zustand (s.u.) erstmal genug gemoshe.

Denn noch bevor Billy Talent ihren Soundcheck machen können, erlebe ich den maximalst möglichen Hangover. Realtiv zerstört beobachte ich daher die Band fast völlig erstarrt aus größerer Entfernung, während ich zaghaft an einer Portion Pommes nage. Sänger Ben ist eigentlich mehr Shouter, ständig hört man bei seinen Schreiparts, wie er das Mikro gegen seinen Kopf oder sonstwohin schlägt. Die Band spielt tight, Hit auf Hit brennen sie eine hochenergetische, aber irgendwie seelenlose Show ab. Ein weiterer Fall, wo musikalisch und in der Show alles stimmt und einem am Ende doch etwas fehlt. Im Fußball nennt man sowas einen Arbeitssieg.

Die folgenden Muse schenke ich mir, dass 2001er Konzert in Hamburg möchte ich nicht mit einem Festivalauftritt vergleichen müssen, das kann aus verschiedenen Gründen nur scheitern. Also gehe ich stattdessen zur Alternastage zumm Chefstyler Jan Delay & Disko No. 1. Mit enorm guter Band im Rücken und in Spiellaune erklärt uns Herr Eisfeldt dann, dass er das "Klar" macht, wir aus "Plastik" sind, "Kartoffeln" sowieso und er "Raveheart". Zum Running Gag wird seine ständige Ansage, die Regenwolke wegmusizieren und -feiern zu wollen. Das "Türlich, Türlich" Cover auf Cameos "Word Up"-Musik hatte ich ja schon bei YouTube ins Herz geschlossen, und am Ende verhindern alle, dass das "Feuer" ausgeht. Guter Sound, starke Band, aber auch hier nicht die Art von Soul, die ich mir erhofft hatte. Gut wars aber allemal.

My Chemical Romance schaue ich mir dann eigentlich nur an, weil ich bereits mit dem Warten auf die White Stripes begonnen habe. Die erniedrigende und völlig desorganisierte Einlassstruktur in den vorderen Teil dürfte ein Tiefpunkt für die RaR-Orga sein: Wenn man aus unerfindlichen Gründen unter den Armen eines Security durchtauchen muss, um dann weitergehen zu können, hat das mit professionellem Einlass nichts mehr zutun. Dabei hatten die das doch in der Vergangenheit immer gut gelöst... Vor dem Konzert setze ich mich auf den Boden, weil mein alkoholisch vernichteter Körper Stehen mittlerweile als Problem ansieht. Irgendwann streicht mir ein blndes Mädchen über den Kopf und fragt, ob ich nicht stehen will. Sofort schaltet sich ein anderes ein und bietet mir an, mir hochzuhelfen. Danke Ladys, mir gehts gut! Und dann beugt sich eine niedliche Blondine zu mir runter: "Wir kennen uns doch! Christian?" Nachdem ich trotz Kopfschmerzen in Ruhe erkläre, dass ich nicht Christian bin, stellt sich heraus, dass sie eine Freudin von L. meiner Theaterkollegin ist. Just fängt aber das Konzert an und wir verlieren uns aus den Augen. Gerard Ward ist in Hochform und wetzt über die Bühne um den Hohepriester des Emorock zu spielen. Ich mag ja manchen Song der Band, aber in so geballter Form ist mir der Pathos dann doch zuviel. Gerade die Ballade "Cancer" bringt gegen Ende wohl nicht nur mich an die Toleranzschwelle in Sachen 'große Geste'. Ein schöner Auftritt, der mich persönlich nicht gerade interessiert hat.

Dann die Arctic Monkeys und Teil zwei des Einlass-Dramas: Was normalerweise zu wenig vorn reingelassen wird, kommt jetzt zuviel. Ich lehne hinten an der Absperrung und werde gepflegt mit dem Oberkörper darüber gedrückt. Dass sich die Security im Verlauf des Konzertes dann zunächst weigert, kreislaufschwache Mädchen hinten raus zu lassen (vermutlich der Kameras wegen, die dort fahren), ist ein weiterer Schlag ins Gesicht. Das Konzert der arktischen Affen wird dann recht gut, als nicht gerade großer Fan der Band haut mich der enorm gute Sound und das ebenso druckvolle Spiel der Band um. Wirklich wirklcih gut! Songs? Jau, von den beiden Alben, recht gemischt, wobei das alte Album deutlich besser abgeht.

Und dann endlich der Höhepunkt des Tages: Die White Stripes. Und dass hier alles ein bisschen anders laufen wird, zeichnet sich bereits beim Umbau ab: Die Roadis (allesamt im Anzug-mit-Melone-Dresscode!) errichten eine rot-weiße-Wohnzimmerwelt mit Piano, Gitarrenecke und gleich vier Mikrofonen (eines an Meg Whites Schlagzeug) für Sänger und Gitarrist Jack White. Im Vorfeld läuft keine Werbung, den country-esken Soundtrack dürfte auch die Band ausgesucht haben und selbst die schwarzen, werbeverseuchten Monitorboxen ersetzt die fleißige Melonenmannschaft durch hübsche Rote. Dann geht es los, Jack und Meg entern die Bühne und schon Jacks erster Gitarrenakkorrd ist derart laut und schmutzig, dass man sich über fehlenden Basssound etc. keine Gedanken machen muss. Auf der Videoleinwand gibt es die beiden Protagonisten in "gealterter" (wie heißt dieser Filter noch gleich?) Optik zu sehen. Jack White gibt den Gitarrenderwisch, rennt zu Megs Schlagzeug, zu seinem Piano, zu seinen Monitoren und hext einen Bluesrocker nach dem nächsten herbei. Das Set ist zu meiner Freude angenehm "Elephant"-lastig, "Black Math", "I just don't know what to do with myself", "Ball & Biscuit" in einer höllisch guten, Solo-reichen Variante, das unvermeidlich "Seven Nation Army", eigentlich alle großen außer "Hardest Button to Button". Dazu "Blue Orchid", "My Dorrbell", "Hotel Yorba", das fantastische Dolly Parton-Cover "Jolene" und einiges von der neuen Platte, die ich noch nicht kenne. Nur "Fell in Love With A Girl" hätte ich noch gern gehört. Während Jack schrammelt, pflegt Meg White ihr Schlagzeug-Phlegma, stoisch und mit mehr Power als ich erwartet hatte drischt sie auf ihr Set ein. Die schöne Schlagzeug-Autistin. Die Kommunikation mit dem Publikum hält sich in engen Grenzen, ein "Good evening, this is my sister Meg, we are the White Stripes from Detroit" ist drin, viel mehr wird es dann im Laufe der Zeit aber auch nicht. Egal, reden will sie eh hier keiner hören. 20 Stücke und 1,5 Stunden später gehen die beiden nach der Zugabe endgültig ab, und das bisher stärkste Konzert des Rings ist zu Ende.

Auf dem Zeltplatz setze ich mich zu B., H., T. und H., der im Laufe des tages endlich eingetroffen ist, und wir tauschen Erfahrungsberichte. Dann mache ich mich "hübsch" und besuche L. in ihrem Camp. Zunächst ist die Atmosphäre komisch und sie beachtet mich nur spärlich. Nach kurzem Nachfühlen entspannt sich die Situation aber wieder, und sie folgt mir wie morgens versprochen samt Schlafsack in mein Zelt. Es folgt erneut eine viel zu kurze Nacht...

Samstag (Tag 4)

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1000 Songs
Madrid 2007-2008
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