Donnerstag, 16. September 2010

heute show, c/o Deutscher Humor

Die "heute show" des ZDF ist nicht die akzeptable Verdeutschung von Jon Stewarts "Daily Show", zu der sie gelegentlich gemacht wird; sie ist ein fade kopierter Abklatsch. Wer wissen möchte, warum ich einmal mehr zu dieser Ansicht komme, kann dieses exzellente, wenngleich sehr lange Porträt von Jon Stewart lesen. Ich kann es auch kurz zusammenfassen: Jon Stewart besitzt Leidenschaft, seine Komik ist - wie bei der Satire - aus ehrlicher Wut, aus einer aufrechten Haltung heraus geboren. Welke dagegen will Fernsehen oder Comedy machen, nicht mehr, und das merkt man.

Was ich dann wirklich schlimm finde: Wie Welke die Show durch ein paar unmotiviert gebrauchte Schimpfwörter zum Rebellen stilisiert, wo sie doch nur einen Zungenschlag weniger bieder ist als der Rest der kreuzbraven deutschen Humorlandschaft (die deutsche Paradedisziplin des Nörgelns, sprich: politisches Kabarett mal ausgenommen). Wenn Welke über Atompolitik oder Sparpaket spricht, zielt alles auf die Pointe, klingt alles nach Kalauer - wie schlimm und verachtenswert manches Verhalten von Politik und Medien ist, vermittelt er seinem Publikum nicht, stattdessen die gleiche Humor-Sedierung wie überall. Mehr "Wochenshow" als "Daily Show" (wenngleich die Wochenshow dann ja wieder auf ein anderes amerikanisches Vorbild zurück geht).

Dass sich die deutsche und amerikanische Medien- und Politiklandschaft (hinsichtlich ihrer Fallhöhe) unterscheiden, dass die Amerikaner und ihre Unterhaltungsindustrie mit einem anders geschulten Publikum und größeren Ressourcen arbeiten können, dass auch im ZDF die Spielräume für Programm-Experimente ihre Grenzen haben - geschenkt.

Fehlende Leidenschaft oder einen Mangel an Haltung entschuldigt das nicht. Und das Deutsche insgeheim nur Mittelmäßigkeit sehen wollen ist auch eher ein böses Gerücht.

Montag, 23. August 2010

Frau Müller und Herr S.

Frau Müller (die in Wirklichkeit anders heißt) war damals am Gymnasium meine Kunstlehrerin. Nicht die einzige, aber die einzig wichtige. Eine, die uns mit Wärme und Interesse begegnete, die es uns nichtmal übel nahm, wenn wir in unserer hormonellen Verblendung ihre spannenden Informationsangebote zu alten und neuen Künstlern ausschlugen. Eine, die uns auch mal aus fremdem Unterricht in der 3. Stunde zur Prüfung holte, nachdem wir die 1. bei ihr bewusst deshalb geschwänzt hatten - ohne, dass wir es ihr übel nehmen konnten.

In typisch fünfzehnjähriger, aufmerksamkeitsheischender Weise schleuderte ich ihr mal entgegen, dass ich Christoph Schlingensief gut fände. Was stimmte, nur hatte ich keine Ahnung, welche Dimension oder Bedeutung der Künstler zu jener Zeit bereits hatte. Frau Müller aber begann ein Gespräch über Schlingensief. Über das deutsche Kettensägen-Massaker. Die Herkunft und Bedeutung der Leinwand bei Schlingensief. Und vieles mehr. Sie tat, worauf ich nicht recht gefasst war: Sie nahm mich ernst, und redete - wenn schon nicht auf Augenhöhe, so doch auf die Art, wie sich eine erfahrene Kunstlehrerin in ihren Vierzigern respektvoll mit ihrem Schüler um die fünzehn unterhalten kann.

Was nur dazu führte, dass ich mich - im wohligen Gefühl, von einer älteren, wissenden Person ernst genommen worden zu sein - weiter mit Schlingensief beschäftigte und sein Wirken verfolgte, die Möllemann-Aktion, die Kirche der Angst, das Nazi-Stück, die Container-Aktion in Österreich, seine Inszenierungen an der Volksbühne, in Bayreuth und Burkina Faso.

Um das Jahr 2000 herum habe ich sicher nicht jeden Ansatz, jedes Thema verstanden, das Schlingensief in seiner rasenden, kunstaktionistischen Medien- und Kulturschelte "U3000" verarbeitet hat - aber diese acht mal glänzend inszenierte und aufgeführte Tour de Force weckte bei mir intuitiv Kräfte und Bewusstsein, wie ich es selten gespürt hatte. Um rückblickend und verklärend zu übertreiben: Schlingensief öffnete mir die Augen über die Welt, und ich merkte es nicht einmal richtig.

Jetzt ist er tot und ich denke an vieles, was er - auch abseits der abgegriffenen, wenngleich großartigen YouTube-Clips - gesagt hat. "Wähle dich selbst". "Scheitern als Chance". Schöner, lauter und effektiver ist wohl kaum einer gescheitert.

Mittwoch, 28. Juli 2010

Young Rebel Set

Wieder hat es mich erwischt: Wenn diese Young Rebel Set nicht noch groß werden, soll mein zweiter Nachname nicht Mumford sein. Manchmal sind sie mehr Libertines, mehr Springsteen als hier, und die restlichen Stücke des kommenden, selbstbetitelten Mini-Albums der Engländer fallen gegen das episch gute "If I was" etwas ab, aber diese Folknummer in bester "Was ich alles für die Frau tun würde"-Manier bringt mich um den Verstand. Bleibt nur noch das Herz, und das erwärmt sich sekündlich mehr.

Sonntag, 25. Juli 2010

Die Loveparade, das Unglück und die Berichterstattung

Hier nur ein paar Gedanken zu dem Unglück auf der Loveparade und der folgenden Berichterstattung (hätte ich schnell genug geschaltet und alles Auffällige zentral gesammelt, hätte ich hier nun im Wortlaut alle Tweets zitieren können, das geht nun leider nur ausgewählt):

- die WDR-Berichterstattung, insbesondere die der nach meinem Eindruck ehrlich erschütterten Thomas Bug und Catherine Vogel, war akzeptabel - sachlich, nachrichtlich und um eine gewisse Dezenz bemüht (zumindest, solange ich eingeschaltet hatte). So kann man mit einem solchen Ereignis umgehen, erst recht, wenn man ohnehin live berichtet und die Möglichkeit, sich nicht zu äußern, damit bereits ausfällt. Warum einige Leute reflexartig den WDR anpöbeln, ist mir da ein Rätsel - nicht alle Medien sind kapitalistisch motivierte Voyeure, nicht alle Journalisten vergessen auf Kommando Anstand und Ethik.

- die BILD.de-Berichterstattung ist gewohnt unangenehm, ging aber auch nicht über das Maß an Voyeurismus und Pietätlosigkeit hinaus, das das Medium bei vergleichbaren Fällen immer schon an den Tag gelegt hat. Das macht es nicht ein bisschen besser, aber mit den Superlativen, die manche da formulieren, wäre ich vorsichtig. Und wo die Zeitung ausdrücklich Fotos von Toten (nicht: Opfern oder Verletzten, sondern Toten) gezeigt oder vergleichbares angekündigt haben soll (wie vielfach als Tweet oder Retweet zu lesen war) ist mir immer noch ein Rätsel; im Twitter-Account und auf der Webseite habe ich nichts entsprechendes gefunden. UPDATE SIEHE KOMMENTARE

- die plötzliche Aufregung enthemmt gerade auf Twitter viele, so dass sich schnell das Bahn bricht, was ich den "ganz normalen Stammtisch" nennen würde, nur eben ohne die soziale Normierung durch die Anwesenheit anderer. Das ist nicht schön, aber letztlich ein Abbild der Gesellschaft. Eklig wird es stellenweise trotzdem, und manches will ich einfach nicht mehr lesen müssen: nicht die von rechtsaußen herannahende, ans Asoziale grenzende Gefühlskälte von einfach_Yosh ("Oute mich mal als nicht-pflicht-betroffen: Wenn ich auf eine fick-drogen-rave party gehe, weiß ich, dass das übel für mich enden kann"), und auch nicht den hämischen, homophoben, menschenverachtenden Dreck von Lori_ftw ("Da hats mal die richtigen erwischt, die Schwuletten haben sich selbst totgetrampelt, gibts was schöneres? #loveparade"). Stellvertretend für viel anderen schlimmen Scheiß, den ich nicht mehr wiederfinde.

- ähnlich schlimm: Alle, die das Unglück als Anlass nehmen, um relativ zusammenhangslos Tiraden zu ihrem Leib-und-Magen-Thema (Kindersterblichkeit in Afrika, unfähige Politik, böser Kapitalismus, unverschämte Deutsche Bahn, Killerspiele uvm.) loslassen, anstatt beim Thema zu bleiben.

- Werbetweets für Pornos etc. mit dem Hashtag #loveparade zu versehen müsste doch strafrechtlich schon was hergeben, oder?

- dass irgendein Nutzer bei Der Westen vor zwei Tagen kommentierte, bei dem engen Zugang über den (Unglücks-)Tunnel sähe er schon Tote, bedeutet weder, dass das Unglück so wie geschehen unausweichlich war, noch, dass die Veranstalter daran eindeutig die Schuld tragen. Warten wir ausreichend lange die Fakten ab.

Freitag, 16. Juli 2010

Neues vom Tage (II)

Der im Zuge der Fußball-Weltmeisterschaft bekannt gewordene Oktopus Paul tritt in den Staatsdienst ein: Wie eine Sprecherin der Bundesregierung bestätigte, soll der hellsichtige Achtarm ab dem 01.01.2011 als Datenkrake an der geplanten Volkszählung in Deutschland mitwirken. Zuvor hatte das Sea Life Aquarium in Oberhausen Kaufangebote von Google, Astro-TV, und dem Lebensmittelhersteller Frosta ausgeschlagen. Auch der Ölkonzern BP soll im Rahmen von anstehenden Probebohrungen im Golf von Mexiko Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet haben. "Wir freuen uns auf die Arbeit mit Paul", so ein ungenannter CDU-Funktionär. Das Weichtier habe demnach "physisch wie von seinem Arbeitskonzept her das ideale Persönlichkeitsprofil" für eine Kooperation mit der Regierungskoalition. Für die Dauer seiner Arbeitseinsätze soll der Publikumsmagnet in seinem Heimataquarium kurzfristig vom bereits pensionierten Eisbären Knut vertreten werden.

Dienstag, 29. Juni 2010

Gauck? We can't...

Nur mal angenommen, man besäße ein konservatives Zeitungs-/Medienimperium, das bei fast jeder Gelegenheit nach links Tritt. Und dann mal angenommen, es stünde eine Bundespräsidentenwahl an, bei der die rot-grüne Opposition einen - beim Volk - deutlich mehrheitsfähigeren Kandidaten aufstellt, als die schwarz-gelbe Regierung - der jedoch wegen einer soliden Regierungsmehrheit in der Bundesversammlung sowieso nicht gewählt werden wird. Dann wäre es doch ökonomisch und publizistisch klug, für diesen Kandidaten zu trommeln (bzw. seinen Mitarbeitern das zu gestatten), weil man sich als Vorkämpfer der Majorität präsentieren kann und die Haltung politisch letztlich gar keine Auswirkungen hat. Oder?

Donnerstag, 24. Juni 2010

Southside 2010

Untertitel: "Ich bin zu alt für den Scheiß" oder "Wie ich eines schönen Sommerwochenendes völlig im Schlamm versank". In 10 Jahren Festivalerfahrung habe ich so ein Mistwetter noch nicht erlebt - von Donnerstagabend bis Freitagnachmittag durchgehender Platzregen, danach immer mal wieder Schauer, annähernd keine Sonne, und die berüchtigte Schafskälte. Und das, wo ich mit Restbronchitis angereist war... Als Folge des Regens waren Festival- und Campinggelände ein einziges Schlammloch, knöcheltief und tiefer watete man durch endlosen Schlammassel endlose Schlammmassen vorwärts. Wer's für Übertreibung hält, hier ein paar Impressionen:



Die Organisatoren erschienen mir und anderen solide überfordert: Nicht, dass sie das Wetter beeinflussen könnten. Aber Stroh und Holzschnipsel in großem Stil auf Festivalgelände und Campingwege streuen, Notunterkünfte für auf dem überbelegten Campingelände nicht untergekommene Besucher einrichten, mehr als ein Nadelöhr als Einlass öffnen - so schwer wäre das nicht gewesen. Stattdessen stand man sinnlos 1-2 Stunden an der Bandausgabe, wo für tausende Anreisende immer nur ein winziger Durchlass offen und der auch erst seit 16 Uhr donnerstags geöffnet war (warum nur?!), campten verzweifelte Menschen im wegen voller Kanalisation ohnehin geschlossenen Duschzelt (wegen seines Flüchtlingslagercharakters von uns bald nur noch "Haiti" genannt), und waren die Wege kaum begehbar. Wir haben uns regelrecht als Unmenschen gefühlt, als wir am Donnerstagabend mit Hinweis auf nachts ankommende Freunde völlig durchnässte Camper von unseren freigehaltenen Flächen vertreiben mussten... an die Orga: So nicht! Amen.

Der Donnerstag läuft recht ereignisarm aus, die Kälte treibt viele von uns zügig in die Zelte, Grillen ist Nahrungsaufnahme und Wärmequelle, und so richtig feierlaunig ist bei der durchdringenden Nässe auch keiner.

Freitag
Freitags setzt sich der Trend zunächst fort: Grau am Himmel, grau in den Gesichtern. Erst der eine oder andere Bierschlauch vermag am frühen Nachmittag etwas gegen die Misere zu unternehmen. Camp- und Festivalleben ist bis hierhin rar, im Grunde ist man ununterbrochen mit dem Kampf gegen Kälte und Nässe beschäftigt. Der Besuch einiger schwer betrunkener, mutmaßlich minderjähriger Schweizerinnen wirkt dem dann doch entgegen: Nicht nur, dass ihr lustiger Dialekt für die Unterscheidung zwischen großem (für Bier verwendeten) Bierschlauch, und dem gerade Fingerlangen Shot-Röhrchen (ab hier nur noch "Schluch" genannt) sorgt, die kleinen sind trinkfreudig, aber auch phänomenal betrunken - nur ihr Busen verhindert, dass die kleine Katja noch näher auf mich zukommt, als sie mir etwas entgegen lallt. Dann geht sie mit ihren Freundinnen weiter und fällt erstmal im Schlamm um (ab welchem Alter hat man als noch gerade eben junger Kerl eigentlich Sorgfaltspflicht für die blutjungen Festivalgänger?).

Während die meisten sich Deutschlands Katastrophenspiel gegen Serbien im Regen auf der Leinwand ansehen, bewege ich mich am frühen nachmittag angenehm bierbeduselt ins Shisha-Zelt. Ein Pfeifchen später stapfe ich ohne konkretes Ziel erstmal zu Turbostaat ins Zelt, die ich eigentlich sehr gut finde, die mir in dem Moment aber zu stressig sind, so dass ich nach kurzer Zeit weiterziehe.

Auf einem Haufen einigermaßen trockenen Strohs lasse ich mcih schließlich nieder und lausche aus der Ferne Jack Johnson, der ein wenig gegen den tristen Himmel anspielt. Nett und sympathisch, aber auf Konzertlänge offenbar nicht so packend, schließlich schlafe ich zwischendrin ein.

Nach kurzer Pause geht es weiter, ich will Frittenbude sehen, bin aber von dem enormen Andrang im Zelt schnell genervt, so dass ich trotz starken Konzerts nach wenigen Songs etwas essen gehe, und dann zuindest noch einen Rest von Faithless mitbekomme.

Weil SMS-Kommunikation leicht verzögert eintrifft und ich den Treffpunkt verpenne, ist Ela sauer und ich mache mich zwecks Neugruppierung am Zelt auf den Weg zurück, was im Schlamm schonmal eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.

Zurück auf dem Gelände sehe bzw. höre ich noch den Rest von Faithless - dürfte trotz Mini-Eindruck eine gute Show gewesen sein.

Die Strokes sind dann das erste komplette Konzert, dass ich mir ansehe. Julian Casablancas ist offenbar besoffen, singt aber tadellos, und seine Band spielt nahezu unbeweglich, aber wasserdicht ein Hit-Set von "New York City Cops" bis "Heart In A Cache" herunter, dass sich gewaschen hat. Etwas kürzer als gedacht, aber extrem auf den Punkt. Diese Band spiegelt nicht mehr den Zeitgeist und sollte vielleicht auch kein weiteres Album mehr machen (denn sie hat eigentlich nichts wesentliches mehr zu sagen), aber ein starker Auftritt bleibt es.

Massive Attack sind dann das erwartete Highlight: Souveräne, trippige Elektronik, die von den drei grandios entrückten Sängern veredelt wird. Eine traumhafte Erfahrung, die wir wegen der beißenden Kälte aber nur zu 2/3 sehen, bevor wir ziemlich zügig in unseren Zelten verschwinden.

Samstag
Auch der Samstag sprüht nicht direkt Funken - außer, dass Haiti geräumt wurde, und Duschen und WCs nach sinkendem Wasserstand in der Kanalisation immer mal wieder benutzbar sind, passiert wenig Aufregendes. Eigentlich hätte ich gern LaBrassBanda gesehen, aber 13.30 Uhr sind eine unchristliche Festivalzeit.

Bis zu Hot Water Music schaffen wir es aber doch vor die Bühne, wo dank Nieselregen und Uhrzeit viel Platz ist. Die Show ist engagiert, aber nicht überragend, vielleicht muss ich mich mit der Band auch noch einmal intensiver befassen.

Eigentlich warte ich ja nur auf meine Helden The Gaslight Anthem, die nun auftreten. Brian Fallon wirkt tätowierter und sicherer, als noch vor einem Jahr. Er gibt sich ein bisschen überheblich, das aber mit so viel Spaß und Augenzwinkern, dass man ihn nur lieben kann. Die neuen Songs von "American slang" kommen live gut, Fallons Stimme ist noch immer zum Schmelzen, und die alten Hits von "The '59 Sound" werden sowieso gefeiert bis zum gehtnichtmehr. Leider spielt die Band nichts vom punkigeren Debüt "Sink or swim", das ist dann aber auch schon die einzig mögliche Klage.

Und dann kommt Dendemann. Und der hat Bock. Die beste Frisur hat er sowieso, seine Band steckt in edler Ballonseide, der Gitarrist hat einen astreinen Oberlippen-Scnörres - da kann nichts schiefgehen. Mit Wucht röhrt sich Deutschlands bester Rockrapper durch sein neues Album und ein paar alte Stücke, dass es eine wahre Freude ist. Da lässt sich dann sogar die Sonne kurz blicken, nachdem die Menge ihre beiden "Vetokarten" (=Hände) gegen das Ende von Dendes Konzert und den Regen eingesetzt hat. Lauter werden die "Zugabe"-Chöre an diesem Wochenende nicht mehr als hier. Ein überlegenes Konzert.

Danach sind wir gut durchgerockt und machen Pause auf dem Zeltplatz. Erst zu späterer Stunde lassen wir The Prodigy und Dropkick Murphys links liegen und gehen zu Tegan & Sara ins Zelt. Offenbar sind die beiden Schwestern feminine Role Models, schließlich ist der Gutteil des Publikums weiblich und tendenziell hysterisch. Abgesehen von ein paar plump anbiedernden Ansagen der beiden steht einem sehr schönen, angenehmen Indiekonzert also nichts im Wege. Das sich dann auch ziemlich genau so abspielt. Muss man vielleicht mal in Ruhe reinhören, gute Band.

Mit sanfter Gewalt habe ich Ela dann soweit, dass sie sich trotz massiver Abneigung gegen die Musik die Deichkind-Show anguckt. Welche ihr sogar ein wenig zusagt, aber auch hier treibt die Kälte uns ins Zelt. Entgegen meiner Erwartung war die Hälfte der Show, die wir sahen mit der aus dem letzten Jahr ziemlich identisch - nix mit Deichkind 3.0. Wenn sich da nicht nochmal was tut, muss ich den Oraklern demnächst doch rechtgeben, die da behaupten: Das Ding ist durch. Gut durchkomponiert ist das dennoch.

Zurück am Zelt klärt Joni auf, dass einige unserer Zelte durchwühlt wurden. Bei mir ist nichts durchsucht, manches Verschollene findet sich 10 Meter weiter, selbst alle Wertsachen sind noch da, nur Camillos Rucksack bleibt das einzige Opfer dieses ziemlich seltsamen und sinnlosen Diebstahls, bei dem sogar die Zelte einiger Nachbarn aufgeschlizt wurden.

Sonntag

Die Luft ist raus - erstaunlich viele Zelte werden schon vor dem Mittag am Sonntag abgebaut - wer bis hierhin durchgehalten hat, hat auch einiges hinter sich. Wir bauen auch schon mal ab, um gegen Abend nach den letzten Wunschacts zügig los zu kommen.

Los geht's heute mit Frank Turner, der Damien Rice auf Indie trimmt und sich ganz ganz doll darüber freut, Rockstar zu sein, zumindest schließe ich das aus seinen immer etwas zu sehr geschrieenen Ansagen. Aber so ein bisschen Überm otivation macht nichts, schließlich kommt die Musik dazu von Herzen. Gut.

Biffy Clyro sind toll, das weiß ich. Nur spüre ich es heute nicht recht - die kühlen Schotten dringen trotz uter Performance nicht zu mir durch. Vielleicht einfach nicht so ganz meine Band.

Kashmir im Zelt laden ein zu einer elegischen Indie-Pop-Fahrt: Ohne viel Schnörkel, aber souverän und spielfreudig präsentieren sie viel altes und wenig neues Material, was ihnen von einem freundlichen Publikum gedankt wird.

Dann die Deftones, die es ausschließlich in zwei Zuständen zu sehen gibt: Hundsmiserabel oder überwältigend. Der Soundcheck mit gefühlten 20 Personen ist etwas verstörend, irgendwas scheint da nicht zu klappen, es geht später los, als geplant. Dafür dann aber richtig: Chino Moreno ist topfit, brüllt und singt an seiner Obergrenze, und Ersatzbassist Sergio Vega ersetzt den im Koma liegenden Chi Cheng solide. Leider bin ich schon etwas zu müde für den insgesamt doch recht gleichförmigen Deftones-Sound, viel mehr als das allgegenwärtige Kopfnicken kann ich nicht mehr. Und "Digital Bath" oder "Hole In The Earth" wären schön gewesen. Sonst aber ein mehr als ordentlicher Auftritt.

Dann das nächste große Highlight: Marina & The Diamonds im Zelt. Wer diese zauberhafte Marina Diamandis noch nicht erlebt hat, wie sie da über die Bühne wandelt, mit ihrem kleinen Körper und ihrer großen Stimme zwischen Kate Bush, Tori Amos und Madonna - der hat echt was verpasst. Diva? Ja, bei all dem Ausdruckstanz. Gekünstelt? Nee, die ist einfach ein wenig exaltiert, wie auch ihr Pop, der so schräg zwischen Indie und eingängigen Melodien liegt, das es eine Freude ist. Ganz, ganz große Songs, ganz ganz großes Konzert. "I love you too" kommentiert sie den großen (und wieder sehr weiblich dominierten) Jubel am Ende und ist so glückselig wie die Menschen im Publikum.

Skunk Anansie und Danko Jones höre ich nur noch halb aufmerksam aus der Ferne, erstere scheinen in den Neunzigern stecken geblieben, letztere machen das gleiche wie immer, aber so richtig cool erscheint mir das nicht mehr, wie Danko den Obermacho und Superrocker gibt.

Eigentlich will Ela noch Element Of Crime sehen, aber weil wir die schon mehrfach gesehen haben und eh nichts wesentliches mehr spielt, brechen wir erstmals vor dem runden Festivalabschluss durch die letzte Sonntagsband auf. Da mein Stuhl geklaut wurde, tue ich etwas Unverzeihliches, über und für das ich mich immer noch selbst ärgere und schäme: Klaue mir auch einen - wofür mich Karma am nächsten Tag direkt mit einer Autopanne straft...

Insgesamt das anstrengenste Festival meiner Laufbahn - das nächste Jahr ist nicht wie sonst gesetzt, sondern muss erstmal diskutiert werden. Auch Upgrades im Lebensstil (Wohnwagen, Hotel) sind derzeit mögliche Varianten für weitere Jahre. Ansonsten auffällig: die riesigen Superacts der Marke Red Hot Chili Peppers oder Metallica werden immer mehr die Ausnahme (höchstens die Beatsteaks fielen da dieses Jahr noch drunter, vielleicht auch Billy Talent), der Trend geht zu kleineren und mittelgroßen Acts. Nicht unbedingt eine schlechte Entwicklung. Und insgesamt ist mir das Southside mit seinen 50.000-60.000 Menschen mittlerweile eigentlich zu groß und stressig, wie damals auch Rock Am Ring irgendwann. Das familiärere, kleinere, mit weniger großen Namen besetzte Festival könnte da die Lösung sein. Und: Ich bin schon Rockopa, wenn ich mir die 16jährigen überdrehten Leute angucke - ich muss mir da im Vergleich einfach ncihts mehr beweisen. So ungefähr sieht's aus.

Montag, 31. Mai 2010

Neues vom Tage (I)

Bundespräsidentin Lena Meyer-Landrut hat heute vor Pressevertretern ihren Rücktritt als Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft erklärt. Kevin-Prince Boateng habe bei seiner Kritik während des Testspiels in Afghanistan den "Respekt vor meinem Amt" vermissen lassen. Auf Nachfrage sagte der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU), auch er stünde für eine erneute Nominierung nicht mehr zur Verfügung. Bei der WM in Südafrika soll die ARD/Pro7-Koalition nun von Stefan Raab angeführt werden. Meyer-Landruts Rücktritt ist der vorläufige Höhepunkt beim Ausfall-Pech im deutschen Kader: Kürzlich hatten sich bereits Guido Westerwelle und Angela Merkel bei einem Finanz-Sprint im griechischen Trainingslager den Konjunkturmuskel gezerrt; beide fallen voraussichtlich noch mehrere Wochen politisch aus.

Dienstag, 25. Mai 2010

Du schreibst Geschichte

Man soll mit Superlativen vorsichtig sein, aber dieser neue Nike-Spot ist schlicht episch gut.

Freitag, 7. Mai 2010

Alte Helden (III): Dover

Dover aus Madrid waren mal eine Punkband. Das wissen Menschen, die ihnen heute begegnen, nicht mehr zwangsläufig, da die beiden Schwestern Cristina und Amparo Llanos heute eher ein Madonna-Pop-Show veranstalten. Früher jedoch waren die beiden und ihre Mitstreiter Helden des rauen, melodischen Punkrocks. Vom '97er "Devil came to me" bis zum 2003er "The flame" war die Band kaum zu stoppen (und bremste sich in der Folge auch nur selbst aus). Vielleicht haben sie sich das bisschen Superstartum, das die Schwestern in Spanien schon lange genießen, auch verdient. So gut wie in den Jahren vom Zweitwerk bis zu "The flame" waren sie jedoch nie wieder.

Hier eine Akustikversion eines meiner liebsten Songs der Band, dem in der normalen Version nach vorn peitschenden "Die for Rock 'n' Roll". Ironie der Geschichte: Die Band starb nicht für den Rock 'n' Roll, sondern ließ ihn sterben.

Dienstag, 4. Mai 2010

Alte Helden (II): Bush

Bush waren mal ganz kurz die neuen Nirvana - nicht nur, weil Frontmann Gavin Rossdale ähnlich gutaussehend und charismatisch war, auch wegen ihres grungigen Sounds. Danach waren sie immerhin noch eine englische Alternative-Rock-Band mit einigen großartigen und einigen sehr guten Songs (das alles übrigens ziemlich genau in der Zeit zwischen den Amtszeiten der gleichnamigen amerikanischen Präsidenten).

Ich war der Band schnell verfallen, nicht nur, weil ein Freund von mir sie quasi ununterbrochen hörte, sondern auch, weil sie unter ihrem rauen Gitarrencharme massenweise Melodien zu bieten hatte (im Punk ging es mir mit Bad Religion ganz ähnlich). Das erste Album "Sixteen Stone" dürfte schon ihre Definition gewesen sein, auf dem dritten "The Science Of Things" kamen elektronische Elemente hinzu, das vierte und letzte Werk floppte schließlich.

Ich habe vermutlich kaum einen Song so oft auf der Gitarre nachgespielt, wie die Ballade "Glycerine" vom Debüt. Ähnlich gut gefiel mir dann nur noch das hymnische "Warm Machine", das für mich all die hochmeldosiche Lärmigkeit der Band in sich vereint. Man erinnert sich gern daran, wenn man sich ansieht, was Gavin Rossdale heute so macht.

Alte Helden (I): Tori Amos

Manche Musiker, die für mich vor Jahren sehr wichtig waren, sind im Laufe der Zeit in meiner Erinnerung ein wenig verblasst. An einige möchte ich mich in den nächsten Tagen erinnern.

Tori Amos hat mich vor über 10 Jahren unmittelbar fasziniert: Einerseits die kühle, feministische Erotik, provokant und lasziv von einer Diva in Szene gesetzt, andererseits die fragile Schönheit einer verletzten, emotionalen jungen Frau. "Little Earthquakes", Amos' erstes Album unter ihrem Namen, ist ein musikalischer Befreiungsschlag ungekannter emotionaler Intensität, so verstörend schön geraten, dass mir Songs wie "Silent all these years", "Precious Things" oder "Me and a gun" (Amos verarbeitet hier in einem A-Capella-Track ihre erst kurz zurückliegende Vergewaltigung) immer noch Schauer über den Rücken jagen.

Das Prachtstück aber ist für mich "Winter": Märchenhafte Metaphern von weißen Pferden und eine idyllische Winterkulissedienen Amos als Ausgangspunkt, von dem aus sie ihre tiefsten Gefühle über die Liebe und das Loslassen zwischen Vater und Tochter schreibt, und in den man eine Reflektion über die Entwicklung von kindlicher Unschuld zu einer selbstbewussten, emanzipierten jungen Frau und Künstlerin hineinlesen kann. Von zartem Gesang und wohl gesetzten Klavierakkorden erhebt sich das Stück schließlich mit dezenten Streichern zu einem vielfarbigen und -deutigen Reigen - kühl, beschädigt, aber wunderschön.



Anbetungswürdig. (Wie auch ihr "Smells Like Teen Spirit"-Cover von Nirvana.)

Freitag, 30. April 2010

Auch du

Der erste Fall: Ein Regensburger Student wird von 5 Polizeibeamten mit zwölf Kugeln erschossen; nach Angabe von Zeugen in einer Notwehrsituation. [Link1] [Link2]

Der zweite Fall: Ein amerikanischer Kampfhubschrauber schießt im Irak in eine Gruppe von Männern; die Feuererlaubnis wird gegeben, weil (tatsächlich nicht vorhandene) Raketenwerfer und Maschinengewehre gesichtet werden; die Piloten kommentieren das Töten zynisch. Unter den mehr als einem Dutzend Toten sind auch zwei Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters. [Achtung, das ist die geschnittene Kurzversion mit Kommentar]



Ich will gar nicht Hintergründe und Probleme der Fälle diskutieren. Aber als der Student und Journalist, als der ich mich verstehe, denke ich immer nur (entgegen der Wahrscheinlichkeiten): Dass hättest auch du sein können.

Ginger

Alles in einem Video: South Park, Nine Inch Nails, John Rambo, und der nervenzerrende "Stress" von Justice - Voilà: "Born free" von M.I.A. (übrigens auch von Romain Gavras, der das genannte Justice-Video gemacht hat).

M.I.A, Born Free from ROMAIN-GAVRAS on Vimeo.

Phänomenaler Drum 'n' Bass!

Danke an Björn.

Freitag, 2. April 2010

Meta-Hitler

Ich überlege ja schon eine Weile, was ich eigentlich von Daniel Erks Hitler-Blog bei den tazblogs halte.

Vorweg: Erstmals von Daniel Erks Existenz erfahren habe ich durch seine Doppelkolumne in Neon. In den dort veröffentlichten Alltags-WG-Geschichten über das Koexistieren mit Frauen erschien mir Erk meist wie ein frühverklemmter Kuschelpädagoge mit selbsttherapeutischem Schreibzwang - denn was er da schrieb war in meinen Augen an keiner Stelle irgendwie erzählenswert und prägte doch nur Neons Image als Studentenbravo. (Weshalb er an anderer Stelle mal zu einem der peinlichsten Berliner gekührt wurde.)

Das Hitler-Blog zeigt ihn von einer anderen Seite: Erk sammelt hier im popkulturellem Umfeld gesichtete Fundstücke mit Hitler- und Nazi-Bezug, deren Natur von skurril über witzig bis dumm und bedenklich reicht. Eine gute, zuweilen launige Idee.

Allerdings erhebt Erk gern den moralischen Zeigefinger, wenn er anderen erklärt, was lustig ist, und worüber man lieber den Kopf schütteln sollte. Dass er dabei häufig sehr richtig liegt und seine Ansichten mit rechtlichen oder philosophischen Präzedenzfällen zu stützen weiß, nimmt dem ganzen den schalen Beigeschmack nur selten. Denn obwohl es so sinnvoll wie notwendig ist, fremdenfeindliche Hetze oder verunglückte Nazi-Referenzen als das zu benennen, was sie sind, wirkt Erk dabei nicht immer als kluger Mahner. Stattdessen kommt er gelegentlich bestürzend unlocker herüber, wenn er sich für kein Rechthaber-Duell mit Kommentar-Trolls zu schade ist, und vermittelt dem Leser insgesamt das Gefühl einer moralischen Überlegenheit, die im besseren Fall das Gegenüber in die Schülerrolle in Sachen NS-Zeit verweist, im schlimmeren eine Normalisierung im Umgang mit der NS-Zeit verhindert ("Normalisierung" ist in dem Zusmamenhang immer ein schwieriges Anliegen, weil es nach rechts anschlussfähig ist; ich meine das aber in keinem Moment geschichtsrelativistisch, sondern im Sinne einer rationalen anstatt einer emotionalen oder moralischen Auseinandersetzung). Womit er das Gegenteil dessen erreicht, was das Blog eingentlich bewirken könnte: Statt über den schleichenden Eingang von Nazi-Symbolik in die Popkultur und deren Instrumentalisierung zu sprechen, wird im Hitlerblog noch zu oft um Meinungsführerschaft gerungen.

Samstag, 27. März 2010

Stumpf ist Trumpf

Wenn nach diesem Interview noch irgendwer Zweifel hat, wer eigentlich der allergrößte Rapper-Typ in Deutschland ist, kriegt er von mir 'n paar in'n Nacken!

Dendemann im Interview from artschoolvets on Vimeo.

p.s.: Das neue Album ist auch derbe gut.

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