Dienstag, 10. Juni 2008

Pinkpop 2008 - Alles Käse? Rock unter Niederländern: EIne Bestandsaufnahme

Die Vorzeichen standen schlecht: War schon mein Hals seit Wochen ein schlimmes Trümmerfeld, brachte B. erst am Mittwoch - und damit 2 Tage vor der Veranstaltung - die erlösende Nachricht, dass er seine Kehlkopfentzündung mit Medikamenten ausreichend in den Griff bekommen habe und fahren könne. Andernfalls wäre ich nicht nur schlecht vorbereitet, sondern auch ohne meinen niederländisch studierenden und sprechenden deutschen Begleiter und damit ohne jeden Anhaltspunkt, kurz: allein ins große niederländische Traditionsfestival Pinkpop gestartet.

Die Entscheidung für das Pinkpop war gleichzeitig eine gegen Rock am Ring, und damit gegen dröhnende Dieselgeneratoren hinter dem Zelt, gegen agressive, gröhlende Onkelz-Fans in Tarnhose und gegen Stress im Kleinen und Großen. Da das Pinkpop bei ähnlichem Preis ein ähnliches Line-Up bot, fiel die Wahl am Ende leicht.

FREITAG

Ich reise mit dem Zug an, was ich mir eigentlich seit dem ersten Mal 2002 verboten hatte. Warum, fällt mir bald wieder ein: Den ersten Zug verpasse ich noch relativ kalkuliert in Luxemburg wegen dringendem Ticketkauf. Dann aber bereichert die belgische Bahn meine Reise mit einem Streik; warum genau der Zug im Bahnhof mit 10 Minuten Verspätung startet und am Ende 50 Minuten daraus geworden sind - keine Ahnung. Schlafen war auch nicht, da eine Horde flämische Pfadfinder-Kinder in mein Abteil einfallen. Ich war ja nur um 05.30 Uhr aufgestanden...
In Maastricht treffe ich B. und wir machen uns auf den letzten Weg nach Landgraaf. Dort pilgern wir vom bahnhof zum Gelände, und erreichen nach einiger Zeit den Geländenahen Campingplatz A, wo uns die Niederländer aus B.s Studium einen Zeltplatz freigehalten haben. Glücklicherweise öffnet das Festival erst Freitags die Tore, so dass man wenig vom Leben und keine Bands verpasst, wenn man am frühen Nachmittag anreist. Dann bauen wir ein Zelt auf, bauen ein Zelt wieder ab und bauen es mit etwas Hilfe endlich richtig auf... unbekanntes Material ist ein Fluch.

Gerade rechtzeitig entern wir das Gelände, auf dem gerade Flogging Molly das Festival eröffnen. Gut gelaunt präsentiert sich die Irish-Folk-Punk-Institution und spielt zu meiner Freude viel vom aktuellen Werk "Float", ohne dabei alte Großtaten auszusparen. So tanze ich gemütlich auf der mäßig gefüllten Wiese im Hintergrund. Nur den Videomonitor hätte man doch inschalten können.

Die folgende Pause taugt zum Resümieren: Pinkpop bedeutet Entspannung. Ein derart großes Festival mit so entspannter Stimmung ist mir bisher nicht unter gekommen. Das Bier ist mit 2 Euro pro Becher fair bepreist, die Security fragt einen, ob sie einen durchsuchen darf und niemand drängelt oder radaliert übermäßig; selbst in der ersten Reihe kann man zumindest annähernd entspannt stehen. Vielleicht liegts am überall verbrennenden Wunderkraut, vielleicht auch nur an der sehr freundlichen Mentalität der Niederländer. Viele kommen weniger wegen der (durchaus großen) Bands, als dem Erlebnis Festival, viele besucher haben Tageskarten, nicht wenige Reisen mit drei generationen pro Familie an.
Der Timetable ist übrigens fantastisch organisisert: Immer im Wechsel spielen Bands auf der Hauptbühne und auf den beiden Nebenbühnen, so dass man fast nie etwas verpasst. Die einstündige Pause pro Bühne nimmt man da gern in Kauf.

Nachdem ich den Korn-Sänger Jonathan Davis bewusst verpasse, geben sich auf der Hauptbühne Incubus die Ehre. Irgendwie zündet deren Show bei mir nicht, wenig Ansagen, irgendwie zu routiniert und nicht richtig mit Kraft kommen die Jungs rüber.

Porcupine Tree verpasse ich dannn aus Faulheit, die Bühne zwei ist dann dch ein ordentliches Stück weg. Stattdessen probiere ich die erste von wenigstens einem halben Dutzend Portionen Fritten; davon verstehen die Niederländer einiges. So wartet es sich auch recht angenehm auf die alten Recken von Metallica, denen der Spielplan eine Stunde Zeit mehr als allen anderen Headlinern zugesteht. Die Show ist die gleiche wie zwei Jahre vorher, alte Hits, mittelalte Hits, Feuerwerk-Intro zu "One", toller Bassdrum-Sound, aber trotz "Escape from the Studio"-Claim keine neuen Songs im Set. Die Niederländer glänzen durch "gezellig" sein, und quatschen auch während emotionaler Momente wie "nothing else matters" noch lautstark mit dem Nachbarn. Ts. Dennoch ein guter Einstand für das Festival und ein guter Ausklang für den Tag. Da die Anwohner geschont werden sollen ist es dennoch erst 11 Uhr, so dass noch genug Zeit für Plausch und Bier im Camp bleibt, bevor alle in ihre Zelte kriechen.

SAMSTAG

Klumpenweise Schleim will aus dem Hals gehustet werden, bevor der Tag langsam menschlich wird. Ich habe eine ordentliche Palette Medizin dabei und bin so un mit Müsliriegel, Apfel und Start-Bier bereits gegen 11 Uhr in akzeptabler Verfassung. Blood Red Shoes um 13 uhr peile ich an, entscheide mich dann aber in klassischer Manier für Bier. Bad Religion sind da schon eine Nummer wichtiger: Unprätentiös und immernoch erstaunlich tight spielen Greg Graffin und Co eine Stunde alt und neu, wir pogen und stagediven (obwohls verboten ist, was selten jemanden stört) und allgemein funktioniert das alles ganz prächtig.

KT Tunstall
opfere ich weiteren Fritten, dann wird in der Sonne gechillt und ich verbrenne in Hochgeschwindigkeit mein Gesicht.

Erst für die Eagles Of Death Metal erhebe ich mich wieder. Schnurrbartträger Jesse Hughes nennt sich selbst einen "lucky Hilbilly", da er hier spielen darf und beendet jeden Satz mit "Can you dig it?". Jubel, netter Rock und Sympathie wechseln den Besitzer.

Dann die mir musikalisch fast unbekannten Editors auf der Hauptbühne. Und die Erkenntnis, dass cih mit dieser Form des ewig vielversprechenden, modern Indierocks zu wenig anfangen kann, als dass ich mich daran in 3 Jahren noch erinnern würde.

Wechselbad der Gefühle: Im Zelt nebenan spielen dann Justice. Ein Kreuz glüht weiß auf, zwei Menschen bangen hinter Turntables und Verstärkerwänden und 3000 Menschen drehen einfach durch. Das Publikum tanzt ohne Ausnahme, ist auffallend sexy und die Energie ist beeindruckend. Also muss man mit beim Zerstörerbeat und Knusper-Keyboard. Ein (un-)erwartetes Highlight. Vom Feinsten.

The Verve sehe ich eher aus Pflichtgefühl, Richard Ashcroft und so. Der macht auch wirklcih was her, eine echte Rockstar-Aura alter Schule weht von der Bühne. Gut performt, ohne das viel getan wurde. Allerdings nicht gut genug, als dass ich bis "Bitter sweet symphony" warte.

Stattdessen geht es zur Hauptbühne und den Foo Fighters. Was soll man sagen: Dave Grohl ist einer der besten Performer, die ich je gesehen habe. Punktgenau und enorm durckvoll spielt seine Band, während er über die Bühne derwischt und sich nicht eine Sekunde bemühen muss. Jede Geste kommt diesem Mann enorm natürlich, ein echter Vollblut-Rockstar. Noch dazu einer, der einfach alles drauf hat. Den Song zerjammen, ohne das es langweilt, laut rocken in "The Pretender" und leise in "Skin and Bones", dass sich erst am Ende in ein orgiastisches Finale steigert. Einer, der sagt, er würde gern mehr reden, könne dann aber weniger Musik spielen, und deswegen sie man ja da. Einer der sagt, er würde gern niederländisch sprechen, aber die Niederländer hätten wohl "strange mouths - maybe you give awsome blowjobs witht those". Man verzeiht es ihm, dem nettesten und vielleicht brilliantesten Rocker unserer Zeit. Als alle Hits verklungen sind, hat etwas gesehen, was der perfekten Rockshow schon sehr nahe kommt.

SONNTAG
Das Übliche - Aufwachen, schwitzen, sich waschen, frühstücken, dann Bier. Fiction Plane verpasse ich, 12 Uhr sind einfach zu früh, auchfür den Sohn von Sting. Zumindest den letzten Song "Two sisters" höre ich, das reicht und stellt zufrieden.

Die Wombats sind sympathisch - und sehr englisch. Das fesselt kurz und treibt einen dann zur Fritten- und zur Bierbude. Das erste Konzert des Festivals, dass ich größtenteils nur höre.

Dann muss ich mich zwischen der harten Cavalera Conspiracy und der süßen Kate Nash zum ersten Mal ernsthaft entscheiden und wähle die 20-jährige Engländerin. Die kommt zu spät, zeigt sich ein bisschen schüchtern und spielt dann jeden Song anfangs am Klavier oder der Akustikklampfe leise, um am Ende in einem Geknüppel zu enden, bei dem sie die Backing Band mit zeitweise 3 Perkussionisten amtlich unterstützt. Ein nettes Konzert.

Später kommen die Hives und die werden heiß erwartet: Das Publikum will aber eher zuhören, als mitmachen. Und so müht sich Sänger Pelle Almqvist mit mäßigem Erfolg, die Menge aus ihrem Winterschlaf zu holen. Da nützt ihm auch sein punktgenau herumgewirbeltes Mikro nichts. Irgendwie wirken auch die Hives wie schon incubus ein wenig müde, die alten 150% in jeder Sekunde sind das nicht mehr, schon allein durch das neue Songmaterial. Ein akzeptabler Gig, nicht mehr.

Dann geht es zu Alanis Morissette, direkt vor den Eingang des ersten Zuschauerblock vor der Hauptbühne. Das Kalkül dahinter: Nach der zierlichen Songwriterin sollte sich normalerweise das Publikum austauschen, so dass man bereits für Rage Against the Machine einen guten Platz ganz vorne sichern kann. Das kostet zwar den Gig von Serj Tankian, soll sich aber auszahlen. Morissette hateine super-professionelle Backing-Band, die artig vorgestellt wird. Die Sängerin selbst tanzt entrückt wie eine bekiffte Waldelfe, lächelt entwaffnend und spielt alle Hits. Ein Geburtstagsgruß, dann "Ironic" und weg ist die Kanadierin. Nett.

Danach erobere ich mit B. einen Platz in Reihe 2 und warte. Zunächst kommen die Queens Of The Stone Age, die ich nur so halbwegs auf dem Zettel habe. Der Gig wird dann eine Lehrstuunde in enorm gutem Spiel von enorm guten Songs in enorm gutem Sound. Josh Homme begrüßt die Menge mit "You know who we are" und legt los. Treffer. Dann erklärt er der Security, dass bei einem Queens-Konzert jeder Crowdsurfen, Kiffen oder auf Schultern sitzen darf. Eine der besten Rockbands unserer Zeit, die machen was sie wollen. Es ist ein Hochgenuss, ihnen dabei zuzusehen.

Und dann erfüllt sich ein lange gehegter Traum für sehr, sehr viele Menschen: Rage Against The Machine. Die Band gewordene Wut in Originalbesetzung. Darum geht es diesen Somer bei vielen Festivals ausschließlich. Langes warten, dann ertönt viele Minuten lang eine ohrenbetäubende Sirene. parallel werden vier Gestalten in orangenen Guantanamo-Overalls und mit schwarzen Säcken über den Köpfen auf die Bühne geführt. Lange stehen sie als stummer Protest gen Amerika auf der Bühne, dann bekommen sie ihre Instrumente umgehängt und mit den ersten Tönen von "Bombtrack" explodiert die Masse. Es ist das einzige Konzert, bei dem hart gedrückt, schwer gehüpft wird, alle schreien die erlösenden Parolen aus "Know your enemy", aus "Guerilla radio", alle wissen: "Anger is a gift!". Die Band spielt tight, aber viele Songs recht langsam; entweder war der Sturbäche schwitzende Bassist Tim Commerford krank, oder man merkt den Jungs 8 Jahre Pause kräftig an. Auch die Wut glaubt man ihnen zwar, dennoch scheint der unmittelbare Hass nur noch zu glimmen statt zu lodern. So oder so: es ist Gottesdienst, Zack De La Rocha predigt, Tom Morellos Gitarre schreit und jeder kennt jede Zeile auswendig. Bei "Wake Up" hält Zack eine seiner politischen Ansprachen und fordert die generation, die sich angeblich nicht mehr für Politik interessiere zum handeln auf. Am Ende kanalisiert "Killing in the name" noch einmal alles, presst den letzte Schweiß aus allen Beteiligten, bevor ein würdiger Abschluss für das Pinkpop endet.

Fazit: Ein feines fetsival, sehr und manchmal sogar zu stressfrei, in freundlicher Atmosphäre und mit tollen Acts, wenn auch nicht ganz billig. Gern wieder. Im nächsten Jahr, mit deutscher Festival-Crew.

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Madrid 2007-2008
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